Das Virus stellt eine historische Zäsur dar – es drängt in jede Pore des Lebens und verstärkt bisherige Widersprüche und Tendenzen. Die Körper werden nicht mehr allein durch Disziplinarinstitutionen wie Schule, Krankenhaus, Fabrik reguliert, sondern zunehmend durch pharmakologische Mikroprothesen wie Medikamente und Impfungen und digitale Überwachungstechnologien. Der neue Mensch wird so zur*zum vereinzelten Telekonsument*in und -arbeiter*in, während sich die Krisen von “race”, Klasse und Geschlecht multiplizieren. Unter dem Brennglas der Pandemie erweist sich die kolonial, patriarchal und kapitalistisch geprägte DNA der Gesellschaften des Globalen Nordens mehr denn je als untragbar.
Angesichts der allgegenwärtigen Brüche mutieren Gewohnheiten, Wahrnehmung, Affekte. Das macht Angst, hat aber auch Potential. Denn “gerade weil unsere Körper die neuen Enklaven der Biomacht darstellen […] ist es heute wichtiger denn je, neue Formen des Antagonismus in Gang zu setzen”, so der Philosoph Paul B. Preciado in seinem Text “Vom Virus lernen”. Er plädiert für eine Heilung durch eine gewählte statt erzwungene Mutation, verbunden mit einem neuen Verständnis für eine Gemeinschaft aller Lebewesen auf diesem Planeten. Das HAU Hebbel am Ufer lässt sich von diesen Gedanken infizieren, um sich seinerseits für eine Reihe von Mutationen zu öffnen.
Für die Mutation des HAU1 hat sich das HAU Kompliz*innen gesucht: Die UdK-Bühnenbild-Klasse von Prof. Janina Audick – Anneke Frank, Paula Meuthen, Helena Schaber, Olivia Schrøder, Yaming Wang / Künstlerische Projektleitung: Daniela Zorrozua / Prof. Janina Audick – hat einen hybriden Raum entworfen, der durch Verschränkungen von organischen Landschaften und technoiden Cyber-Environments die Grenzen zwischen Bühne und Publikum, zwischen Kultur und Natur oszillieren lässt. Das Theater wird zum Antikörper. Sehgewohnheiten werden hinterfragt und räumliche Grenzen aufgebrochen.
Das Eröffnungsprogramm für den neuen Raum haben die Gast-Kurator*innen Nathalie Anguezomo Mba Bikoro, Saskia Köbschall und Tmnit Zere unter dem Titel “Radical Mutation: On the Ruins of Rising Suns” entwickelt.