Die Südliche Friedrichstadt zwischen Checkpoint Charlie im Norden und dem Halleschen Tor im Süden ist ein sehr heterogener Stadtraum. Obwohl er zu Kreuzberg gehört, wird er oft als Teil von Mitte wahrgenommen, was sicher auch an den zahlreichen modernen und hochpreisigen Neubauprojekten nördlich der Franz-Klühs-Straße liegt. Südlich dieser Linie erheben sich rund um den Mehringplatz Wohngebäude, die Ende der 1960er-Jahre mehrheitlich als sozialer Wohnungsbau geplant wurden.
Zur Wohn- und Gewerbesituation: Die Hälfte des Platzes ist in den Händen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Die Läden auf der Ostseite sind belebt, die Kiezstube (Gewobag), das Quartiersmanagement und das Jugendzentrum KMAntenne sind wichtige Anlaufstellen, die mit spezifischen Angeboten für die Nachbarschaft (von jung bis alt) auf die Herausforderungen reagieren. Die Westseite war lange in privater Hand. Dort machte ein Kleingewerbe nach dem anderen zu. Angesichts der schlimmen baulichen Vernachlässigung hat sich die Mieter:inneninitiative “Mehringplatz West – Es reicht!” gegründet und die Mieter:innen haben ihre Anliegen mit Protestaktionen und Gesprächsrunden bekannt gemacht. Seit Anfang Februar ist auch die Westseite Eigentum einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, der HOWOGE. Der Mehringplatz wurde oft medial als “sozialer Brennpunkt” stigmatisiert, ohne die strukturellen Probleme beim Namen zu nennen. Mehr als 5.000 Anwohner:innen leben hier. Die seit zehn Jahren währende Baustelle, die Vermüllung und Drogenkriminalität belasten den Alltag der Menschen. Dennoch ist der Mehringplatz ein lebendiger urbaner Ort und viele Bewohner:innen und Initiativen engagieren sich unverdrossen dafür, trotz der schwierigen Umstände ihren Kiez lebenswert zu gestalten.
STELLA: Wir wollen hier heute eine Art Erkenntnisgespräch mit euch führen, darüber, wie wir rund um den Mehringplatz in Zukunft zusammenleben und -arbeiten wollen. Stichworte: Infrastruktur, Recht auf Stadt, Wohnraumsituation, Jugend und Kultur. Was sind die Visionen und positiven Entwicklungen, die wir uns für den Mehringplatz wünschen? Und wie können wir uns gegenseitig unterstützen?
VOLKAN: Stellen wir uns einfach mal vor, heute sei der 5. Mai 2031. Das meiste, wofür ihr alle euch seit Langem eingesetzt habt, um die Situation am Mehringplatz positiv zu verändern, ist eingetreten. Wie sieht der Mehringplatz nun aus? Welche Läden, Kulturangebote und Orte der Begegnung gibt es?
MAREIKE: Ich wünsche mir, dass die Friedrichstraße 1 bis 3, also der Komplex, in dem sich die KMA befindet, schon in den nächsten vier Jahren saniert und dass die Kurt-Schumacher-Schule fertiggestellt wird. Außerdem wünsche ich mir, dass die geplanten Neubauten auf dem AOK-Parkplatz 2031 fertiggestellt sind, sodass junge Erwachsene die Chance haben, aus ihrem beengten Wohnumfeld auszuziehen und trotzdem im Kiez, in der Nähe ihrer Familien zu bleiben. Gerade wenn man in eher prekären Verhältnissen lebt, braucht man ja ein starkes Netzwerk. Wir sind hier der kinderreichste Kiez in ganz Friedrichshain-Kreuzberg, aber es gibt keine Kinderärzt:innen, keine Logopäd:innen, keine Ergotherapeut:innen, keine Kinder- und Jugendpsycholog:innen. Da wünsche ich mir ein Zentrum, wo junge Eltern diese ganze Angebotspalette finden. Kurze Wege – ich glaube, das ist ganz wichtig bei uns im Kiez.
HENDRIKJE: Es sollte wieder einen Blumenladen geben. Aber wenn man kein Geld hat, kauft man keine Blumen. Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass die Jugendlichen, die sich da jetzt in Gruppen draußen treffen, dealen und rumkrakeelen, alle einen Job haben und Geld verdienen, damit sie eben nicht mehr dealen müssen. Was den AOK-Parkplatz angeht, habe ich einen anderen Schwerpunkt als Mareike. Ich stell mir da etwas vor für Leute, die größere Wohnungen suchen. Hier gibt es ja maximal Drei-Zimmer-Wohnungen und das ist einfach zu wenig für Familien mit vier oder mehr Kindern. Und das Miteinander muss besser werden. Die Communitys sind leider sehr getrennt, also die türkische, die arabische, die kurdische, die Spanier:innen, Osteuropäer:innen und Deutschen. Das Quartiersmanagement versucht das seit vielen Jahren zu verändern, aber es klappt einfach nicht.