“Was ist hier eigentlich los?”

Ein Gespräch aus der Publikation zu “Berlin bleibt! #3 – Werkstatt Mehringplatz”

Die Südliche Friedrichstadt zwischen Checkpoint Charlie im Norden und dem Halleschen Tor im Süden ist ein sehr heterogener Stadtraum. Obwohl er zu Kreuzberg gehört, wird er oft als Teil von Mitte wahrgenommen, was sicher auch an den zahlreichen modernen und hochpreisigen Neubauprojekten nördlich der Franz-Klühs-Straße liegt. Südlich dieser Linie erheben sich rund um den Mehringplatz Wohngebäude, die Ende der 1960er-Jahre mehrheitlich als sozialer Wohnungsbau geplant wurden.

Zur Wohn- und Gewerbesituation: Die Hälfte des Platzes ist in den Händen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Die Läden auf der Ostseite sind belebt, die Kiezstube (Gewobag), das Quartiersmanagement und das Jugendzentrum ­KMAntenne sind wichtige Anlaufstellen, die mit spezifischen Angeboten für die Nachbarschaft (von jung bis alt) auf die Herausforderungen reagieren. Die Westseite war lange in privater Hand. Dort machte ein Kleingewerbe nach dem anderen zu. Angesichts der schlimmen baulichen Vernachlässigung hat sich die Mieter:inneninitiative “Mehringplatz West – Es reicht!” gegründet und die Mieter:innen haben ihre Anliegen mit Protestaktionen und Gesprächsrunden bekannt gemacht. Seit Anfang Februar ist auch die Westseite Eigentum einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, der ­HOWOGE. Der Mehringplatz wurde oft medial als “sozialer Brennpunkt” stigmatisiert, ohne die strukturellen Probleme beim Namen zu nennen. Mehr als 5.000 Anwohner:innen leben hier. Die seit zehn Jahren währende Baustelle, die Vermüllung und Drogenkriminalität belasten den Alltag der Menschen. Dennoch ist der Mehringplatz ein lebendiger urbaner Ort und viele Bewohner:innen und Initiativen engagieren sich unverdrossen dafür, trotz der schwierigen Umstände ihren Kiez lebenswert zu gestalten.

 

STELLA: Wir wollen hier heute eine Art Erkenntnisgespräch mit euch führen, darüber, wie wir rund um den Mehringplatz in Zukunft zusammenleben und -arbeiten wollen. Stichworte: Infrastruktur, Recht auf Stadt, Wohnraumsituation, Jugend und Kultur. Was sind die Visionen und positiven Entwicklungen, die wir uns für den Mehringplatz wünschen? Und wie können wir uns gegenseitig unterstützen? 

VOLKAN: Stellen wir uns einfach mal vor, heute sei der 5. Mai 2031. Das meiste, wofür ihr alle euch seit Langem eingesetzt habt, um die Situation am Mehringplatz positiv zu verändern, ist eingetreten. Wie sieht der Mehringplatz nun aus? Welche Läden, Kulturangebote und Orte der Begegnung gibt es? 

MAREIKE: Ich wünsche mir, dass die Friedrichstraße 1 bis 3, also der Komplex, in dem sich die KMA befindet, schon in den nächsten vier Jahren saniert und dass die Kurt-Schumacher-Schule fertiggestellt wird. Außerdem wünsche ich mir, dass die geplanten Neubauten auf dem AOK-Parkplatz 2031 fertiggestellt sind, sodass junge Erwachsene die Chance haben, aus ihrem beengten Wohnumfeld auszuziehen und trotzdem im Kiez, in der Nähe ihrer Familien zu bleiben. Gerade wenn man in eher prekären Verhältnissen lebt, braucht man ja ein starkes Netzwerk. Wir sind hier der kinderreichste Kiez in ganz Friedrichshain-Kreuzberg, aber es gibt keine Kinderärzt:innen, keine Logopäd:innen, keine Ergotherapeut:innen, keine Kinder- und Jugendpsycholog:innen. Da wünsche ich mir ein Zentrum, wo junge Eltern diese ganze Angebotspalette finden. Kurze Wege – ich glaube, das ist ganz wichtig bei uns im Kiez. 

HENDRIKJE: Es sollte wieder einen Blumenladen geben. Aber wenn man kein Geld hat, kauft man keine Blumen. Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass die Jugendlichen, die sich da jetzt in Gruppen draußen treffen, dealen und rumkrakeelen, alle einen Job haben und Geld verdienen, damit sie eben nicht mehr dealen müssen. Was den AOK-Parkplatz angeht, habe ich einen anderen Schwerpunkt als Mareike. Ich stell mir da etwas vor für Leute, die größere Wohnungen suchen. Hier gibt es ja maximal Drei-Zimmer-Wohnungen und das ist einfach zu wenig für Familien mit vier oder mehr Kindern. Und das Miteinander muss besser werden. Die Communitys sind leider sehr getrennt, also die türkische, die arabische, die kurdische, die Spanier:innen, Osteuropäer:innen und Deutschen. Das Quartiersmanagement versucht das seit vielen Jahren zu verändern, aber es klappt einfach nicht. 

“Mich stört manchmal die ganze kritische Berichterstattung über diesen Standort. Wenn ich mir vorstelle, ich bin ein junger Mensch und lese das, so negativ und defizitorientiert, dann wird es nur schwerer, aus diesem Teufelskreis rauszukommen.” Gülcan Yapici

ERIK: Na, ich glaube, irgendwelche Subkulturen bilden sich automatisch. Wenn ganz viele Menschen aus einer Nation zusammenkommen, dann ist es meistens so, dass die sich zusammenschließen und eher zusammenbleiben.

HENDRIKJE: Klar, verstehe ich. Nur das fördert eben nicht die Nachbarschaftshilfe. Man kümmert sich immer nur in der eigenen Gruppe und dadurch erfährt man nur, was man schon weiß. Man eignet sich nicht das an, was die anderen Nachbar:innen denken.

STELLA: Und du, Gülcan, was wünschst du dir für den 5. Mai 2031?

GÜLCAN: Als Elternvertreterin der Kurt-Schumacher-Grundschule ist mir die Fertigstellung dieser Baustelle natürlich am wichtigsten. Aber es gibt auch allgemein zu wenig Angebote für Grundschüler:innen, und es fehlt eine gymnasiale Oberstufe. Die nächste ist meines Wissens das Leibniz-Gymnasium in der Gneisenaustraße. Wir müssen das Potenzial gerade der jüngeren Generation, die hier ansässig ist, mehr anerkennen. Mich stört manchmal die ganze kritische Berichterstattung über diesen Standort. Wenn ich mir vorstelle, ich bin ein junger Mensch und lese das, so negativ und defizitorientiert, dann wird es nur schwerer, aus diesem Teufelskreis rauszukommen. Es ist ja vorprogrammiert, dass ich nur einen niedrigen Abschluss haben werde, wenn die Gesellschaft das sowieso von mir denkt. So entsteht eine Zweiklassengesellschaft. Zum Vergleich: Nur einige hundert Meter entfernt gibt es die Clara-Grunwald-Grundschule – die ist ganz anders besetzt als unsere. Es gibt sehr viele deutsche Eltern, die relativ rasch einen Antrag auf Schulwechsel stellen, weil sie befürchten, dass ihr Kind hier keine adäquate Förderung bekommt. Aber man kann die Kurt-Schumacher-Schule nur loben – also das Personal und was für eine Arbeit da geleistet wird. Die Schüler:innen bekommen hier eine sehr gute Bildung. Trotzdem gibt es diese Trennung, und das schürt eben eine Zweiklassengesellschaft. Meine Vision ist, dass Interkulturalität als Potenzial und als Wert anerkannt wird.

MAREIKE: Die Selektion findet ja bereits im Kinderladen statt. Da heißt es schon: Dort kann ich mein Kind nicht hinschicken, weil da zu viele Kids mit Migrationshintergrund sind. Meine Tochter war in so einem Hippie-Kinderladen, und auch da gab es das Problem, dass viele Eltern ihre Kinder nicht in die Kiezgrundschule schicken wollten, weil sie Nachteile befürchteten. Für mich ist das eine neue Art von Rassismus.

ERIK: Noch mal zum 5. Mai 2031: Mein Traum wäre, dass hier eine Entkriminalisierung stattfindet. Drogenkriminalität ist für mich das Hauptproblem hier. Und ich meine jetzt nicht die 12- bis 14-Jährigen, die mal Krach machen, sondern die 30-Jährigen, denen du die Drogen ansiehst, und die da schon um 9 Uhr morgens rum­brüllen und Bier trinken. Außerdem würde ich mir wün­schen, dass der Kiez bunter wird und die grauen Blocks nicht so grau bleiben. Ich finde auch, es sollten mehr Leute aus anderen Ländern herkommen, anstatt immer nur aus denselben ein oder zwei Nationen. Damit wir hier so ein richtiges Multi­kulti haben. Und die Spielplätze müssen wieder Spielplätze werden. Ein Beispiel: Ich wohne in der Wilhelmstraße. Wenn ich hier runtergehe, dann ist da ein Fußballplatz, in den kommt man nicht mal mehr rein. Den haben sie eingezäunt, weil der angeblich neu gemacht werden sollte. Aber jetzt ist er seit Jahren eben nur eingezäunt und niemand kann da spielen.

STELLA: Du sagst, Drogen sind ein Problem. Warum gibt es nicht mehr Straßensozialarbeit? Wäre das für euch eine konkrete Forderung?

ERIK: Ja, vielleicht. Aber mit Sozialarbeiter:innen allein bekommst du das nicht in den Griff. Das ist ein gesellschaftliches Problem, nicht nur hier. Man müsste da an die Wurzel gehen, anstatt immer nur an der Oberfläche zu kratzen.

VOLKAN: Es gibt keinen Ort, wo sich Junkies safe spritzen können?

ERIK: Nein, das findet hier überall statt. Für uns ist besonders die Situation in den Treppenhäusern problematisch.

STELLA: Ich habe gehört, dass es früher Security-Leute gab, die von der Gewobag beauftragt wurden, um durch die Treppenhäuser zu laufen, und dass das Problem sich verschlimmert hat, seit sie nicht mehr da sind, richtig?

“Die Sorge, ob die Mieten stabil bleiben, hängt ganz stark an den Besitzverhältnissen.” Ulrike Hamann

ERIK: Ja, das gab es schon mal. Auch Leute, die engagiert waren, um die Treppenhäuser zwei- oder dreimal die Woche zu reinigen. Aber die hatten da mit einer unglaublichen Scheiße zu kämpfen, für nur zehn Euro die Stunde oder so. Wenn ich eine Reinigungskraft wäre und so was sehen würde, dann würde ich mir auch denken: Warum soll ich das machen?

GÜLCAN: Auch der Theodor-Wolff-Platz ist so was von unhygienisch, und ich weiß nicht, wie man dieses Problem lösen kann. Es gab mal eine Reinigungsaktion der Galilei-Grundschule, aber nur für einige Wochen. Wenig später konnte man dann schon wieder nicht mehr hingehen, weil überall weggeworfene Lebensmittel rumlagen. Natürlich hat das mit den Nutzer:innen des Platzes zu tun, aber eben auch mit einem Desinteresse der Stadt.

VOLKAN: Das waren jetzt lauter Innenansichten von Kiezbewohner:innen. Zeit, für ein bisschen Außenperspektive. Ulrike?

ULRIKE: Gut, ich schau jetzt mal vom Kotti (Kottbusser Tor) aus auf den Mehringplatz, weil bei uns ja vieles ähnlich ist wie bei euch. Auch der Kotti gilt von außen betrachtet schon immer als Problemquartier. Das wird meist zurückgeführt auf die Migrationserfahrung, die 80 Prozent der Leute hier haben, auf wenig Einkommen und so. Aber, was ihr ja auch von eurem Kiez wisst, der Zusammenhalt ist trotzdem ziemlich groß. Und das war es, was wir mit unserem Projekt “I love Kotti” deutlich machen wollten – dass wir gerne hier wohnen, trotz all der Probleme. Wir haben erst mal gesagt: Unser wichtigstes Problem sind die hohen Mieten und der Rassismus. Das sind die Themen, die uns vereinen. Über alles andere kann man reden. Und wenn ich mir jetzt überlege, wir haben 2031 – wie sieht der Kotti aus? Wie sieht der Mehringplatz aus? Dann würde ich mir zum einen wünschen, dass die Mieten stabil geblieben sind und alle, die bleiben wollten, auch weiterhin hier sind. Zum anderen, dass die Mieter:innen darüber mitentscheiden können, was an den Häusern gemacht wird, wie die Dienstleistungen und wie die Gewerbeflächen vergeben werden. Es ist ja nicht unwichtig, wer da welche Läden an wen vermietet. Dasselbe gilt für den öffentliche Raum, zum Beispiel für die Frage, wo Bänke stehen und wie wir uns da aufhalten können. Dafür müssen wir aber zuerst ein paar Kämpfe gewinnen, die jetzt schon laufen. Die Sorge, ob die Mieten stabil bleiben, hängt ja ganz stark an den Besitzverhältnissen. Bei uns gehören zum Beispiel viele Wohnungen der Deutsche Wohnen. Wir haben immer gesagt, dass wir diese Häuser längst mit unseren Mieten bezahlt haben, also sollten sie auch uns gehören. Zu den wichtigsten Kämpfen gehört daher die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen wie die Deutsche Wohnen. Außerdem brauchen wir eine Reform des sozialen Wohnungsbaus. Sozialwohnungen werden ja immer weniger, weil die Sozialbindung verloren geht.

STELLA: Da würde ich gerne einhaken. Es gibt auch hier Beispiele dafür, wie Ziele durch Initiativen erreicht wurden. Hendrikje, vielleicht magst du von der Mieter:inneninitiative “Mehringplatz West – Es reicht!” erzählen?

HENDRIKJE: Unsere Wohnungen gehörten jahrelang einem privaten Immobilienfonds. Der war so gepolt, dass er eigentlich nur die Miete haben wollte und keine Instandsetzung mehr gemacht hat, keine Investitionen. Selbst Aufzüge funktionierten über längere Zeit nicht – bei Hochhäusern natürlich ein richtiges Problem. Dafür wurden die Mieten mit jeder Neuvermietung immer höher. Unsere Initiative hat sich gegründet, als es einen großen Wasserschaden im Keller gab. Schon vorher hatten wir ein Rattenproblem, danach wurde es immer schlimmer. Weitere Rohrbrüche in den Wohnungen kamen dazu. Die Verwaltung war für uns gar nicht mehr ansprechbar, aber Miete wurde weiter kassiert. Also haben wir uns alle zwei, drei Wochen getroffen und schließlich eine Demo organisiert. Dann kam leider diese blöde Pandemie. Wir haben per Videokonferenz weitergemacht, so wie jetzt. Unser klares Ziel war die Übernahme durch eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft. Dass das geklappt hat, war allerdings auch Zufall. Wir hatten nie Kontakt zur HOWOGE. Die hat nur gerade Bestandskäufe gemacht, als der Fonds die Häuser abstoßen wollte. Jetzt sind wir in der Phase, wo wir uns fragen, wie wir mit der HOWO­GE ins Gespräch kommen. Auch dort scheint man nicht wirklich bereit, sich auf Mieter:innenmitbestimmung einzulassen. Die sagen uns nur, wie das eben läuft bei ihnen und wo man anrufen muss. Immerhin küm­mern sie sich. Wir hatten eine Liste gemacht mit den 20 schlimmsten Schimmel- und Nässe-Wohnungen, die arbeiten sie auch ab.

“Das Viertel rund um das Hallesche Tor wird von der Politik immer ein bisschen vergessen.” Mareike Stanze

STELLA: An der Stelle würde ich gern an Ulrike zurückgeben, denn Mieter:innenmitbestimmung ist schließlich der Ansatz, den du verfolgst, richtig?

ULRIKE: Ja, hier haben wir ein strukturelles Problem. Echte Mieter:innenmitbestimmung steht nicht im Gesetz, also gibt es sie nicht. Mie­ter:innen dürfen nicht mitbestimmen. Es gibt bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen aber zumindest die Möglichkeit, sich als Mieter:innenbeirat zu organisieren …

HENDRIKJE: Das wollen wir gar nicht! Ein Mie­ter:in­nenbeirat hat ja keine Rechte. Der kann immer nur Vorschläge machen. Das Unternehmen muss darauf nicht eingehen. Das ist keine Augenhöhe.

ULRIKE: Eine weitere Möglichkeit mitzuentscheiden, ist im Mieter:innenrat. Dieser ist für die Mieter:innenangelegenheiten auf Stadtebene zuständig und darf eins seiner Mitglieder in den Aufsichtsrat schicken. Dort geht es um die große Investitionsplanung für das ganze Unternehmen. Auf der Quartierebene gibt es keine Mitbestimmung. Das ist etwas, wofür wir uns starkmachen. Aber wie es aussieht, ist das ein Kampf, den wir noch eine Weile führen werden. Auch die Städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind ja als GmbH oder Aktiengesellschaft, also als Kapitalgesellschaften, organisiert und somit …

ERIK: … auf Gewinnmaximierung aus.

ULRIKE: Genau. Sie sind erst mal nicht gemeinwohlorientiert. Der Satzung nach zwar schon, aber sie dürfen gar keine Mieter:innenmitbestimmung zulassen. Das wäre nach den juristischen Vorgaben für Aktiengesellschaften und GmbHs quasi gegen das Gesetz. Das ist tatsächlich die rechtliche Lage. Das wäre anders, wenn diese Unternehmen umgewandelt werden, wie das mit dem Mietenvolksentscheid mal geplant war – in Anstalten öffentlichen Rechts womöglich.

STELLA: Das ist der rechtliche Weg, um Strukturen zu verändern. Es gibt auch den Weg, mit den Mitteln der Künste und des Aktivismus zu agieren.

MAREIKE: Dazu möchte ich kurz die Geschichte erzählen, wie es zur Neugestaltung des Spielplatzes am Theodor-Wolff-Park kam. Der war ja vor acht Jahren noch ein echter Albtraum, verdreckt und alle Spielgeräte abgebaut. Da arbeitest du in dem Gebiet, wo die meisten Kinder leben, und es gibt einfach keinen funktionierenden Spielplatz mehr. Das kann doch nicht wahr sein! Wir haben dann ein großes Fußballturnier organisiert, sind da mit der Kamera rumgelaufen und haben die Kinder befragt: Wie sieht das hier aus mit dem Spielplatz? Worüber ärgerst du dich? Den Film haben wir bei der BVV (Bezirksverordnetenversammlung) vorgespielt und gesagt: Hier, Leute, das ist die Situation – es muss sich was ändern! Und dann kam auch relativ schnell das Kinder- und Jugend-Beteiligungsbüro, hat mit den zwei Grundschulen und unserem Jugendzentrum zusammengearbeitet, und die Kinder konnten sich aussuchen, was sie da für Spielgeräte haben wollen. Ich glaube, so muss man das machen am Halleschen Tor, weil das Viertel von der Politik immer ein bisschen vergessen wird. Vielleicht gibt es hier einfach nicht genug Wähler:innenstimmen zu holen oder so. Wir sind eben nicht der Kotti, für manche vielleicht gar nicht mehr richtig Kreuzberg. Da muss man zehnmal so laut schreien, bis sich ein bisschen was bewegt.

“Da arbeitest du in dem Gebiet, wo die meisten Kinder leben, und es gibt einfach keinen funktionierenden Spielplatz mehr.” Mareike Stanze

ULRIKE: Bei uns kümmern sich zu viele drum. (lacht)

STELLA: Ich würde gern noch mal zurück zum Gewerbekonzept kommen. Das ist ja jetzt ein spezieller Moment, denn im Westteil des Platzes sind fast alle Läden weg, bis auf die Apotheke. Also all das, was es mal gab: Drogerie, Fleischer, großes Restaurant, Blumenladen, Kneipe. Jetzt droht auch der Supermarkt wegzugehen. Wie findet man heraus, was der Kiez braucht?

ERIK: Ein guter Ansatz wäre zum Beispiel, einen Laden zu eröffnen, wo speziell für die Jugendlichen, die hier immer im Kiez abhängen, Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. In dem also nur Leute, die auch hier wohnen, angestellt werden. Das heißt dann, dass sich die Leute, die da arbeiten und einkaufen, immer kennen. Das würde auch zu mehr Miteinander führen.

ULRIKE: Man muss Kriterien für die Vergabe schaffen. Damit hast du jetzt schon angefangen, Erik. Für die Entwicklung eines Gewerbekonzepts geben Bezirke oder auch Wohnungsunternehmen oft sehr viel Geld aus. Wir hatten hier am Kotti ein Unternehmen, das damit beauftragt wurde – für 100.000 Euro. Das war total absurd, weil die Nachbar:innen gar nicht gefragt wurden. Dabei haben gerade sie die Kompetenz, zu wissen, was der Kiez braucht. Am besten wäre, wenn es euch gelänge, klarzumachen, dass sie kein Unternehmen damit beauftragen müssen. Um das zu erreichen, muss man sich ermächtigen, sagen: Wir machen das. Wir organisieren Gruppen, in denen wir die Nachbar:innen befragen.

MAREIKE: Ich glaube, da ist die Situation bei uns ein bisschen anders als am Kotti. Es gibt einfach einen krassen Leerstand. Also wenn wir uns da jetzt gut aufstellen, haben wir durchaus die Chance, gehört zu werden.

HENDRIKJE: Na ja, die Gebietsvertretung hat schon mal versucht, ein Konzept in Gang zu bringen, das von allen Akteur:innen und Bewohner:innen entwickelt und getragen wird. Aber umgesetzt wurde nichts, und die Gewerbetreibenden haben die Nase voll von irgendwelchen Befragungen. Nun hat der Bezirk die Schlüsseleigentümer:innen eingeladen, das Wirtschaftsamt, die Gewobag, die HOWOGE und den Besitzer der alten Parkpalette, weil der da ja auch bauen will. Mit denen wollte man erst mal intern sprechen.

“Wir brauchen konkrete Erfolgserlebnisse, etwas, was man zusammen schafft. Das würde viel bewirken.” Erik Krüger

STELLA: Ich höre hier, dass es eine klare Forderung nach Transparenz gibt und dass ihr in diese Gespräche mit reinwollt.

HENDRIKJE: Richtig.

VOLKAN: Zum Abschluss vielleicht noch mal zum Miteinander im Kiez. Wie kann man sich vernetzen? Wie auf sich aufmerksam machen?

ERIK: Wir brauchen konkrete Erfolgserlebnisse, etwas, was man zusammen schafft. Das würde viel bewirken.

HENDRIKJE: Aber was könnte das sein? Vielleicht dieser Bolzplatz hinter unserem Haus? Da könnte man einfach mal die Zäune abreißen und den neu herrichten.

GÜLCAN: Letztes Jahr haben wir so eine Aktion an unserer Schule gemacht. An einem Wochenende sind wir Eltern mit unseren Kindern hingegangen und haben aus Pappe auf dem Schulhof eine neue Schule gebaut. Das wurde auch medial begleitet. Solche Aktionen können etwas bewirken.

ULRIKE: Wir am Kotti haben ja gemeinsam ein richtiges Protesthaus gebaut. Das ist natürlich was Großes, hat aber damals 2012 dazu geführt, dass wir jeden Tag 24 Stunden gemeinsam Wache geschoben und die Nachbar:innen begrüßt haben. Das hat uns sehr zusammengebracht, bei allen Unterschieden.

GÜLCAN: Was trotzdem bleibt, ist, dass man sich total ungerecht behandelt fühlt. Bei uns gegenüber soll jetzt ein Bürohochhaus hingestellt werden. Da ist schon die Baugenehmigung durch, und ich bin mir sicher, das wird früher fertig als unsere Schule. Irgendwelche Büros oder Einkaufszentren werden in kürzester Zeit errichtet, aber man schafft es nicht, eine Grundschule für 270 Schüler:innen zu sanieren. Da fragt man sich schon: Was ist hier eigentlich los? 

Am 5. Mai 2021 lud das HAU Hebbel am Ufer einige der Akteur:innen zu einem Runden Tisch ein, um über die Lage am Mehringplatz zu sprechen.

Es diskutierten:

Hendrikje Herzberg
Die Architektin lebt seit 25 Jahren am Mehringplatz, war zeitweilig im Quartiersrat engagiert und ist Mitbegründerin der Bauhütte neben dem taz-Gebäude sowie der Mieter:inneninitiative “Mehringplatz West – Es reicht!”

Gülcan Yapici
Die gebürtige Kreuzbergerin ist Biotechnologin und Mutter von zwei Kindern und wohnt seit 22 Jahren in der Stresemannstraße. Sie ist Elternsprecherin der Kurt-Schumacher-Grundschule.

Mareike Stanze
Die Leiterin der KMAntenne, des Jugendclubs der Kreuzberger Musikalischen Aktion (KMA), hat beim Quartiersmanagement angefangen, arbeitet seit fast zehn Jahren im Kiez und setzt sich für die Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen ein.

Erik Krüger
Ist im Kiez aufgewachsen, hat als Teenager regelmäßig die KMA besucht und dort später auch selbst Workshops geleitet.

Ulrike Hamann
Die Mitbegründerin der Initiative Kotti & Co. ist Vorstandsmitglied der Wohnraumversorgung Berlin, setzt sich für die Mitbestimmung von Mieter:innen sowie für stabile und niedrige Mieten im sozialen Wohnungsbau ein.

Moderation: Stella Konstantinou und Volkan Türeli, HAU Hebbel am Ufer

Der Autor Markus Liske hat dieses Gespräch im Auftrag des HAU Hebbel am Ufer redaktionell bearbeitet. Er ist ebenfalls Anwohner am Mehringplatz.