Bernd: Die Schwierigkeit besteht genau darin, an unsere Bewohner:innen ranzukommen, sie zu erreichen, wenn man etwas mit ihnen gemeinsam machen will. So verstehe ich die Initiative des HAU. Ihr müsst also zu uns kommen, wenn wir die Leute gemeinsamen bewegen wollen. Wir von der Mieter:inneninitiative Mehringplatz-West bereiten ein Hoffest vor, teilweise zwischen unseren Häusern, aber auch in Innenräumen. Und da wäre natürlich ein Beitrag vom HAU auch sehr erwünscht. Was ich meine, ist: Ich als Lesepate würde gern Ausflüge mit den Schüler:innen machen, die Lehrer:innen jedoch antworten mir lächelnd und sagen, dass es schon schwierig genug ist, mal überhaupt 500 Meter mit den Kindern irgendwo hinzugehen. Die sind noch nie von hier weggekommen, und so geht es den Erwachsenen auch. Es geht also erst mal ums Aufsuchen, darum, in Sitzungen zu kommen zum Beispiel. Kunst und Kultur in Ehren, aber unser konkretes Problem ist die Kontaktaufnahme mit den Bewohner:innen. Und deswegen planen wir jetzt erst einmal Festivitäten, zum Beispiel am Marktplatz, der am 14. Mai eröffnet. Das wäre aus meiner Sicht ein Anknüpfungspunkt, das HAU vorzustellen, damit die Menschen hier wissen, dass es dieses gibt und was es macht.
Nadine: Das ist vielleicht in der Nachbarschaft noch nicht so bekannt, viele kennen das HAU vielleicht nur von Ständen bei Kiezfesten, dabei ist das Netzwerken schon seit langer Zeit ein großes Anliegen des HAU. Sei es über den Houseclub, der sich seit elf Jahren über die Zusammenarbeit mit Schüler:innen mit dem Stadtteil verbindet. Oder sei es darüber, dass meine Kolleg:innen Stella2 und Volkan3 vor drei Jahren angefangen haben, mehr Zeit am Mehringplatz zu verbringen, regelmäßig in den Sitzungen des Quartiersrats zuzuhören, in dem das HAU als “starke Partnerin”4 beteiligt ist, und genau wie Sie sagen, Herr Surkau, Kontakte zu knüpfen, mit Menschen zu sprechen und zu schauen: Was ist hier eigentlich los? Was sind die dringenden Themen? Wie funktioniert gemeinwohlorientierte Stadtpolitik in so einer Situation, wie sie am Mehringplatz und an vielen Orten in Berlin herrscht? Wie können Kunst und Kultur Teil einer gemeinwohlorientierten Stadtpolitik werden? Existierende Barrieren und Schwellen sowie Produktionsweisen von Projekten, die ihrer Logik und Förderstruktur entsprechend eher kurz- als langfristig angelegt sind, mal kurz beiseitegelassen. Genauso stimmt es natürlich, dass Kontakte knüpfen, sich treffen, schon allein durch die Pandemie in genau diesen letzten zwei Jahren ziemlich erschwert wurde. Selbst wir treffen uns heute auf Zoom, obwohl wir ins Café MadaMe hätten gehen können. Was mich interessiert: Wenn der Kontakt einmal geknüpft wurde, wie weiter? Was können wir gemeinsam füreinander tun mit den Mitteln und Fähigkeiten, die wir haben?
Stefan: Ich glaube, es ist auch die Frage, wo man mit dem Ganzen hinwill, also welche Verbindung ein Ort wie das HAU mit der Nachbarschaft anstrebt. Ich meine, wir sehen das bei uns. Da ist es auch so, dass unsere Leute noch nicht mal aus den Nordblöcken rausgehen. Es ist total wichtig, diese anfängliche Scheu gegenüber solchen Räumen anzuerkennen, um sie dann überwinden zu können. Obwohl ich am Kotti wohne, ist es trotzdem eine ganz starke Vertrauensfrage und es ist schon immer eine bestimmte Art von Türklinkenputzen, wenn man andere Leute erreichen möchte. Zudem fragen wir uns, wie kann Kunst ein Werkzeug sein, um gemeinsam eine Stimme zu finden und auch bestimmte Dinge aus der Nachbarschaft heraus zu formulieren, weil normalerweise nur über uns gesprochen wird statt mit uns.
Berit: Also ich glaube, es geht um Vertrauen und vor allem um Zeit. Beides ist eigentlich etwas, das man in so einem Rahmen von einem kleinen, zeitlich und finanziell fest abgesteckten Kunstprojekt nicht unbedingt leisten kann. Unsere “kritischen Freund:innen”5 vom Mehringplatz haben uns gesagt, dass Spaß ein wesentliches Moment und ein Element ist, um Türen zu öffnen. Das wollen wir nun verwirklichen, immer unter Berücksichtigung der Frage, die Bernd Surkau vorhin erwähnt hat. Nämlich: Wie stellen wir uns den Mehringplatz vor und, ganz wichtig: Wie stellt der Mehringplatz sich uns vor? Ich habe die Leute, mit denen wir gesprochen haben, als sehr, sehr offen erfahren und viele kannten auch das HAU. Sprich, ich habe nicht unbedingt bestätigt gesehen, was Bernd zwischen den Zeilen gesagt hat, dass es da eine totale Hemmschwelle gibt und die Leute nicht über die Straße wollen. Es gibt sehr wohl Berührungspunkte.
Yıldız: Ich würde sagen: einfach mit einem Gespräch herausfinden, welche Gründe es gab, die sie daran gehindert haben, bisher nicht ins HAU zu gehen. Selbst ich habe erst nach ein paar Jahren herausgefunden, dass das ein Theatergebäude ist. Auch soziale und kulturelle Projekte sollten hierher ziehen in einer Form, die von der Nachbarschaft gewollt ist, anstatt dass die vorhandenen Räume als Büroflächen oder Geschäfte vermietet werden, die die Nachbarschaft so eigentlich gar nicht braucht. Wir sollten da alle aktiv werden, den sozialen Raum als Nachbarschaft mitgestalten, und uns dabei dann natürlich auch wohlfühlen. Dann sagt man nämlich: “Mein Kiez, mein Wohnort, ich habe hier mitgewirkt.”