Diese Rede hielt Annemie Vanackere am 19.11.2024 bei #BerlinIstKultur – Das Konzert zu Gast im Festspielhaus
“Alles van waarde is weerloos” – Dieser Satz von dem Niederländischen Dichter Lucebert wurde in großen Neonbuchstaben auf das Dach der Willem de Kooning (Kunst)Akademie in Rotterdam geschrieben. “Alles, was Wert hat, ist wehrlos.” Was bedeutet das? Nicht so leicht zu sagen. Das macht diesen Vers so doppeldeutig und tiefgründig. Er drückt sowohl Zerbrechlichkeit als auch Stärke aus. Und trotz oder gerade wegen dieser Zerbrechlichkeit besitzt er eine enorme Eloquenz. Auch wenn ich noch 1000 andere Sachen sagen möchte, konzentriere ich mich auf diese Aufforderung: Alles, was wirklich wichtig ist, erfordert unser bewusstes Engagement. Denn oft sind die Dinge, nach denen wir streben oder die wir festhalten wollen, schwer fassbar, wie Wasser, das durch die Finger gleitet. Gerade diese Verletzlichkeit macht es umso wertvoller. Sie haben es schon verstanden: Ich möchte heute den Satz hier in Bezug zur Kunst – und den Sparmaßnahmen setzen.
Guten Abend liebe Freund*innen, liebe Kolleg*innen, liebe Berliner*innen, liebe Mitstreiter*innen!
Seit Wochen sind wir nun mit bewusstem Engagement dabei, diese Kunst zu verteidigen, die selbst wehrlos sein muss, um wertvoll zu bleiben. Wehrlos heißt: sich nicht panzern, nicht anpassen, sich nicht zählen oder vermessen lassen. Kunst, wenn sie von dem reden will, was uns angeht oder berührt, was verhandelt, wer wir sind oder sein wollen, muss frei sein von Gedanken der Verwertbarkeit, der direkten politischen Benutzbarkeit, selbst wenn dies zu ihrem eigenen Nutzen der Selbsterhaltung geschehen würde.
Das bedeutet aber, dass jene, die mit ihr zu tun haben, diese Sonderbarkeit anerkennen müssen und entsprechend sensibel und sorgsam mit ihr umgehen. Kunst, jede Kunst, ist besonders, und deshalb verträgt sie keine Pauschalen – und sicherlich keine pauschalen Minderausgaben (die ominösen PMiAs). Und weil sie wehrlos ist – und dabei das Leben wertvoll macht – braucht sie Anwält*innen. In ihren Institutionen und auch in der Politik.
In den letzten Wochen waren wir alle, die Kunst produzieren oder in der Kultur arbeiten, diese Anwält*innen. Wir haben alle viel geredet, und uns notgedrungen immer wieder zu Wort gemeldet – weil zu wenig mit uns gesprochen wurde und nach wie vor zu wenig mit uns gesprochen wird. Von wem werden wir eigentlich gehört? Vom wem erwarten wir Verständnis, wenn wir schildern, was der Kultur bevorsteht, wenn bis zu 13 % des Kulturetats Berlins gekürzt werden, wie es nun wohl beschlossen ist?
An dem Zuspruch der Berliner*innen kann’s nicht liegen. Es gab vor drei Jahren eine große Umfrage zum Kulturangebot in Berlin und der Akzeptanz dessen in der Berliner Bevölkerung. 90 % der Befragten insgesamt, auch Menschen, die diese Kulturangebote nicht nutzen, waren sehr einverstanden damit, dass diese Kultur so gefördert wird, wie sie gefördert wurde. Und 90 % waren mindestens zufrieden mit dem Angebot. Die Berliner*innen identifizieren sich mit der Kultur! Dass zu viel Kultur vorhanden wäre, sagte keine*r. Anderes gibt es in Berlin definitiv zu viel – darüber sprechen wir aber jetzt nicht ...
Die Umfrage war von 2021, noch in oder knapp nach der Pandemie. Damals haben die Politik und Verwaltung gemeinsam mit uns große Anstrengungen unternommen, unsere Kultur zu schützen und lebendig zu halten. Das hieß vor allem die Bedingungen, unter denen diese Kultur entsteht, zu verstehen und zu stärken. Kunstwerke werden nicht geboren, sie werden erarbeitet. In Berlin auch von sehr vielen freischaffenden Künstler*innen. Was bedeuten für sie bis zu 13 % weniger Mittel? Für vielen das AUS, weil ein ganzes Ökosystem ins Wanken kommt. Viele Institutionen sind eng mit den Freien Künstler*innen und deren Mitteln verbunden: Beide haben weniger Geld, heißt weniger Koproduktion heißt weniger bewilligte Projektanträge heißt weniger Innovation heißt kleinere und langweiligere Spielpläne. Alles verstärkt sich gegenseitig im Abwärtsgang. Wieso erkennt, wer einfach 10 % oder 13 % sagt, das nicht? Oder ist es bloß ein Nicht-Anerkennen-Wollen?
Auch Nicht-Anerkennen-Wollen, dass die Fixkosten, die alle Institutionen haben, von klein bis mittel bis groß, reale Kosten sind, für die Infrastrukturen, aber vor allem auch für die vielen Profis, die auf allen Ebenen die Kunst kreieren und ermöglichen? Wir haben erkämpft, dass auch im Kulturbereich endlich Verträge gelten wie anderswo auch. Damit wir auch hinter den Kulissen nicht nur faire Arbeitsbedingungen haben, sondern auch exzellente Leute nicht an andere Branchen verlieren. Erkämpft, dass investiert wurde in Vermittlung und Teilhabe, in Nachbarschaftsprojekte, in Programme für Barriereabbau und Antidiskriminierung jeglicher Art. Soll auch das auf einmal wieder nicht mehr gelten?
Ich hätte mir sehr gewünscht – besser gesagt: erwartet, und das viele Institutionsleiter*innen mit mir – dass man statt monatelang nur vage von härteren Zeiten zu sprechen, und sich dabei scheinbar “an unsere Seite” zu stellen, mit uns in ernsthafte, erwachsene Gespräche gegangen wäre, was wir denn beitragen können, wenn weniger Geld in der Kasse ist, wo Grenzen liegen, hinter denen die Konsequenzen unverhältnismäßig werden. Dass wir also verantwortungsvoll an einem Konzept für die Zukunft der Stadt hätten mitarbeiten können, zusammen berücksichtigend, mit welch sensiblem Ökosystem wir es hier zu tun haben.
In den 12 Jahren, in den ich in Berlin bin, habe ich gesehen, wie Berlin zu einem echten kulturellen Magnet für alle Welt geworden ist, gemeinsam erarbeitet und strukturell ermöglicht von Kulturleuten, Verbandsleuten, Kulturpolitiker*innen und Verwaltungsfachkräften. Ich halte es für extrem fahrlässig für die Zukunft, diesen Prozess zu stoppen oder sogar zurückzuschrauben. Die Gesellschaft braucht die offenen Räume der Kunst! Gerade jetzt! Die Räume der Imagination, wo wir entwerfen und verhandeln, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Diese Orte der gedanklichen Fürsorge für unsere Gesellschaft, sind nicht reduzierbar auf einfache Rechenmodelle. Mehr noch, mir erscheint die Kürzung, die man uns verordnet, der Vorbote einer Verschiebung zu sein, die von Fragilität, komplexen gesellschaftlichen Perspektiven und solidarischem Handeln nichts mehr wissen will, wo es nur noch um Machtverhältnisse geht und die Stärksten sich durchsetzen.
Alles, was Wert hat, ist wehrlos. Es ist das Antlitz der Kunst, das deswegen schön ist, weil es fragil, weil es zerstörbar ist. Ist es einmal zerstört, ist es nicht mehr schön.