“The End as Interlude” war ursprünglich geplant als eine Veranstaltung im Rahmen von “A Melancholic Melody / A Will To An End – Eine Werkschau von Ligia Lewis”. Statt auf der Bühne des HAU2 zu sprechen, hat die Künstlerin und Theoretikerin Jota Mombaça einen Text geschrieben, den wir in drei Episoden bis zum Ende der Spielzeit auf HAU3000 veröffentlichen. Ausgehend vom Weltgeschehen in Zeiten der Corona-Pandemie erdenkt Mombaça darin eine diffuse Zukunft, in der Grenzen, Flucht und die Freiheit der Gedanken eine zentrale Rolle spielen.
Für Ligia Lewis
Und ich werde dich sehen
Und du wirst mich sehen
Und ich werde dich in den Zweigen sehen, die sich wiegen
In der Brise
Jimmy Scott [1]
Es gibt da dieses Lied, das ich nicht mehr aufhören kann zu singen, seitdem du fort bist. Es hat sich in meinen Kopf eingebrannt. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, wiederhole ich: “Ich sehe dich in den Bäumen...” Das ist meine Art, die Tür offen zu halten. Ich vermisse die Verbindung, die wir hatten, aber es sind fast zehn Jahre vergangen, und keine*r von euch ist je wiederaufgetaucht. An jenem Abend spürte ich einen Teil deiner Bewegungen. Als Adama verschwand, wusste ich, dass ich sie verloren hatte. Auch wenn ich fühlen konnte, dass ein Teil von ihr nach dir griff, wusste ich, dass ihr Körper weg war. Ich versuchte, sie in letzter Minute zu erreichen, sie zum Warten zu bewegen, aber ich konnte nichts tun. Diese massive, undurchdringliche Mauer, die sie von uns trennte, das war ihre Überzeugung, ihre dumme Selbstgerechtigkeit.
Zuerst war ich stinksauer. Und vielleicht bin ich immer noch ein bisschen wütend darüber, wie ihr beide in jener Nacht verschwunden seid. Auch wütend auf mich selbst, weil ich mich zuerst zurückgezogen habe. Aber es war nie vorgesehen, dass ich alleine bleibe. Ich bin wegen uns geflohen. Ich wollte aus diesem Chaos einen sicheren Raum schaffen – einen Ort, an dem wir zusammenleben konnten, ohne Frontex oder andere europäische Polizeikräfte fürchten zu müssen.
Natürlich war ich naiv zu glauben, dass so etwas passieren könnte. Es kann keinen Frieden geben, wenn man sein ganzes Leben lang auf der Flucht ist, und die Polizei ist immer die Polizei. Selbst wenn sie an dir vorbeigehen und dich übersehen, kannst du immer noch spüren, wie die Gewalt ihrer bloßen Anwesenheit in der Welt einen Teil von dir mitreißt. Deshalb gewöhnst du dich an Paranoia, und es fällt dir schwer, davon abzulassen. Vor allem, wenn du Telepath*in bist und es so leicht ist, sich in den Absichten anderer Menschen zurechtzufinden, sich auf dieses zerstörerische Verlangen einzustimmen, das sich hinter der Geselligkeit verbirgt. Alle sind so verkorkst, und du bist da keine Ausnahme. Wir sind keine Ausnahme. Wenn ich an all das denke, was wir als The Community getan haben, kann ich nicht mehr stolz sein. Ich bin einfach nur müde.
Am Ende haben wir doch verloren, oder? Wir haben uns gegenseitig verloren, und wir hatten nur uns. Frontex ist immer noch da draußen, und die Grenzen sind immer noch eingezäunt und polizeilich überwacht. Sogar mehr als zuvor. Wir schreiben jetzt das Jahr 2039. Ich weiß nicht einmal, wie ich es geschafft habe, die ganze Zeit am Leben zu bleiben, ganz allein. Es sei denn, dieses Lied, das ich nicht aufhören kann zu singen, ist der Grund dafür.
“Ich werde dich in den Bäumen sehen...”