Die Utopie Cyber-Freiheit zeigt immer deutlicher ihre Schattenseiten. Denn die Daten, die jede*r täglich generiert, werden ganz unterschiedlich genutzt – abhängig z.B. davon, wo man lebt und wie viel Geld man zur Verfügung hat. Der technische Fortschritt findet so auf dem Rücken von Menschen statt, die aufgrund von Diskriminierung und weniger Privilegien marginalisiert sind. Welchen Schaden Technologien anrichten können, erklären Frederike Kaltheuner und Nele Obermüller in ihrem Essay.
Laut der Techno-Utopien, die in den 1990er-Jahre kursierten, schafft das Internet einen komplett körperlosen Raum – einen Raum, der sowohl Ungleichheiten ausgleichen als auch für alle zugänglich sein würde. “Wir schaffen eine Welt, zu der alle Zugang haben, ohne Privilegien oder Vorurteile aufgrund von ethnischen Zugehörigkeiten, wirtschaftlicher Macht, militärischer Stärke oder einem bestimmten Geburtsort”, verkündete John Perry Barlow in seinem 1996 erschienenen Manifest “Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace”. In dieser frühen Phase cyberfreiheitlicher Fantasien wurde wenig darüber gesprochen, was wirklich passieren würde, wenn wir alle online gehen. Ebenso wenig wurde geklärt, wie genau Menschen auf der ganzen Welt und mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten Zugang zum Internet bekommen sollten.
Seit Oktober 2019 ist mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung – eine erstaunliche Zahl von 4,48 Billionen Menschen – online. Für viele dieser Menschen wird der Internetzugang durch billige Smartphones ermöglicht, die günstiges Internet in neu entstehende Bereiche des Markts bringen. Die meisten dieser billigen Mobiltelefone werden mit wenig Sicherheitsvorkehrungen verschifft und einige der Anbieter sammeln die Daten ihrer Nutzer*innen entweder ganz gezielt oder auch lediglich durch die fehlende Unterlassung, es nicht zu tun. So berichtete z.B. das “Wall Street Journal” 2018, dass ein in Myanmar und Kambodscha viel verkauftes Smartphone, das in China hergestellte Singtech P10, bereits beim Kauf mit einer vorinstallierten App versehen ist, die nicht gelöscht werden kann und über die der Standort der Nutzer*innen ständig live an eine Werbefirma in Taiwan gesandt wird.