Im April 2020 begann ich, mit Aenne Quiñones und Sarah Reimann vom HAU Berlin das Konzept der zukünftigen pARTisanka zu besprechen. Trotz der Pandemieumstände, die zu einem gemeinsamen Thema in den Gesellschaften von Ost- und Westeuropa wurden, beschlossen wir, nicht im “Moment” zu bleiben, sondern darüber nachzudenken, wie man sich den belarusischen Kontext im Dialog mit den sozialen und kulturellen Prozessen in Deutschland nach dem Mauerfall vorstellen kann. Wir waren uns einig, dass wir keine Präsentation von Belarus wollen, vielmehr geht es uns darum, gemeinsame Punkte in der Vergangenheit und der Gegenwart unserer Länder aufzuspüren und sie für gemeinsame Reflexionen und einen möglichen Erfahrungsaustausch zu nutzen. Von diesem Standpunkt aus kann pARTisanka als Raum für künstlerische und intellektuelle Imagination zum Anhaltspunkt für solche Gespräche werden.
Es gab zwei Hauptperspektiven: die Vergangenheit (als historische Perspektive) und die Gegenwart (soziale und politische Hintergründe unserer Gesellschaften). Wir gingen davon aus, dass die belarusischen Erfahrungen vor dem August 2020 oft mit der Geschichte Ostdeutschlands verglichen wurden. Da kam mir eine Geschichte über belarusische Studierende in den Sinn, die in Dresden einen Sprachkurs machten. Einmal machten sie einen Ausflug nach Leipzig, um das DDR-Museum zu besuchen. In bedrückter Stimmung kamen sie zurück, nach Aussage einer jungen Frau: “Sie zeigen uns ihre Vergangenheit, die für uns unsere Gegenwart ist.”
Nach der Präsidentschaftswahl in Belarus am 9. August 2020 wurde allerdings offensichtlich, dass unser Konzept den ursprünglichen Sinn verliert und neue Sinndimensionen gewinnt. Die größten Straßenproteste in der Geschichte des Landes, Streiks, Verhaftungen, Druck und vor allem der Wille der Gesellschaft, die ihre Bereitschaft zum langfristigen Widerstand an den Tag legte, machten deutlich, dass wir noch einen historischen Moment beobachten, der erfasst und dargestellt werden sollte. Im Moment fällt es schwer zu analysieren, was passiert und wie die neue Zukunft sein wird, weil die Situation sich rasch verändert. Wir können aber Fragen stellen, die notwendig sind, um sich die Zukunft vorzustellen, die die Gesellschaft sich erkämpft.
Eure Vergangenheit ist unsere Zukunft? Welche Vergangenheit wird gemeint? Was ist unsere Gegenwart? Und um welche Zukunft geht es?
Wer sind wir und ihr in dieser Konstruktion? Und was ist mit den Begriffen “Freiheit”, “Wandel”, “Transformation”? Was ist das überhaupt – eine “Transformationsgesellschaft”?Wie gestalten sich ihre Wege? Woher kommt sie und wohin bewegt sie sich? Wer ergreift das Wort und für wen und welche Rolle spielen die Erfahrungen der europäischen Nachbarn in diesem Prozess? Wie stellen wir uns die Zukunft vor? Auch wenn der belarusische Aufstand noch nicht zu Ende ist und niemand weiß, was morgen kommt, sind wir sicher: Es ist an der Zeit, unsere Erwartungen, Ängste, unseren Willen, unsere Forderungen zu besprechen.