In der Fortsetzung ihrer “MONUMENT”-Serie verbindet die Choreografin Eszter Salamon Spuren sizilianischer Musikarchive, Mumifizierungsrituale in den Kapuziner-Katakomben von Palermo und historische Bezügen zur sizilianischen Revolution von 1848. “HETEROCHRONIE / Palermo 1599–1920” – eine HAU-Koproduktion – imaginiert ein Kontinuum zwischen Leben und Tod, ein Zusammensein der Lebenden mit den Toten. Die geplanten Aufführungen am 8. und 9. April am HAU mussten wegen des Coronavirus abgesagt werden. Lesen Sie hier ein Interview von Bojana Cvejić, das zuerst bei PACT Zollverein erschienen – wo das Stück Premiere feierte.
Woran erinnert “Monument 0.6”? Was steckt hinter dem Titel “Heterochrony: Palermo 1599–1920”?
Nachdem ich die Kapuziner-Katakomben in Palermo besucht hatte, begann ich über die Frage nachzudenken, auf welche Weise der Tod in das Leben einbezogen wird. Seit 1599 folgten die Mönche des Kapuzinerordens einem eigentümlichen Brauch: statt ihre Toten zu begraben, bestatteten sie sie mumifiziert in den Katakomben, die man noch heute besuchen kann. Später breitete sich der Brauch auch auf das wohlhabende Bürgertum aus: man bezahlte, um die Körper seiner Liebsten zu erhalten. 1920 wurde der letzte mumifizierte Körper in die nunmehr 1250 Mumien umfassenden Sammlung beigelegt. In neuerer Zeit ist der Tod zunehmend verdrängt worden. Die Toten sind aus unserem Blickfeld verschwunden, ihre Körper werden aus der Wahrnehmung der Lebenden getilgt. Die Begegnung mit den Mumien in den Katakomben verursachte einen kinästhetischen Schock in mir. Die Nähe zu den toten Körpern, ihr Anblick, riefen die Erinnerung an die massenhaften Tode unserer Zeit hervor, die Völkermorde und Blutbäder, aber auch jene kranken Körper und Erkrankungen wie AIDS und Krebs, die unsere Gesellschaft versucht zu verbergen oder zu marginalisieren.
Was bedeutet es für dich, ein “Monument” zu erschaffen? Diese Arbeit ist die sechste der gleichnamigen Serie.
Das Konzept des “Monuments” funktioniert ein wenig wie ein Bluff oder eine Provokation. Es ist eine übertriebene Form, um Erinnerungsprozessen und der Geschichte die eigene Macht einzuschreiben. Um wen dreht sich eine Geschichte, wer ist ihr Subjekt? Wer erinnert sich und an was? Für mich steht “Monument” dafür, sich Zeit für eine Reflektion der Vergangenheit zu nehmen.