Susanne Foellmer: Isabelle, Du hast Deinem Stück den Titel “Pieces und Elements” gegeben. Was bedeuten diese Begriffe für Dich?
Isabelle Schad: Obwohl ich mit “Elements” zunächst die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall meine sowie die komplexen Zusammenhänge zwischen Naturkräften, Körper(materialitäten) und Geist, möchte ich mit dem Titel “Pieces und Elements” gleichzeitig auf eine Öffnung der Seh- beziehungsweise Sichtweisen hinwirken. Die verschiedenen Teile oder Teilchen, die benötigt werden, um ein Ganzes zu erzeugen. Der Begriff der Elemente ist nicht auf Naturgesetze beschränkt, sondern bezeichnet vielmehr allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten oder Prinzipien.
SF: In Deiner Arbeit der letzten Jahre spielt das Verknüpfen und Verbinden verschiedenster Verfahren der Bewegungsgenerierung eine große Rolle: In der Relation von bildender Kunst und Tanz, aber auch in der Integration von Praktiken wie Body Mind Centering® oder Aikido in die choreografische Arbeit. In welchem Kontext stehen hierzu die “Elemente”?
IS: Hier galt es, die Mehrdeutigkeit des Begriffs gerade auch im Verhältnis zur Choreografie herauszuarbeiten. Die Elemente könnten verschiedene Teile innerhalb einer skulpturalen Landschaft sein. Inspiriert vom Kubismus und von der Arbeitsweise mit Laurent Goldring finde ich es besonders spannend, wenn sich der menschliche Körper auch innerhalb der Gruppe auflöst, und man vielmehr mit plastischen Einzelteilen beschäftigt ist, die man sieht…, wahrnimmt…, wieder verliert…, weil man plötzlich vielleicht an etwas ganz anderes denkt oder etwas anderes sieht. Zum Beispiel wenn der Raum flach erscheint oder sich Flächen bilden und er im nächsten Moment wieder ganz tief und plastisch wird –, ganz ähnlich dem Betrachten von Abläufen, wenn man lange Zeit in der Natur ist und beobachtet: Nach und nach tun sich immer neue Bilder, Assoziationen oder Erinnerungen auf, so wie bei der Beobachtung von Wolkengebilden oder einem wogenden Blumenmeer.
SF: Zur Frage des Körperlichen hier noch einmal: Du hast bereits zuvor immer wieder mit verschiedenen Stofflichkeit gearbeitet: Dem nackten Körper und, ganz buchstäblich, mit Stoffen oder übergroßen Kleidungsstücken, die zum ‘Bewegungsmaterial’ wurden. Wie siehst Du das Verhältnis dieser Gewebe als ‘Arbeitsmaterialien’?
IS: Mit Laurent Goldring haben wir bei dem Stück “Unturtled” begonnen, ein übergroßes Kostüm als eine zusätzliche Schicht des Körpers zu betrachten […]. Dieses Verhältnis, das den Innenraum mit einem 'Übergangsobjekt', also dem Gewebe, mit dem Außenraum in Verbindung bringt, ist für mich bei dem Aspekt der Kleidung zentral geblieben.
In “Pieces and Elements” spielen wir mit den unterschiedlichen Körperteilen: Solchen, die Haut zeigen, also hell reflektieren, und denen, die schwarz auf schwarz (vor schwarzem Hintergrund) erscheinen und eher abtauchen. Schwarz auf schwarz hat natürlich viele Referenzen wiederum in der bildenden Kunst, wie zum Beispiel bei Aleksandr Rodchenko, Kazimir Malevich oder Robert Rauschenberg. Davon bin ich aber nicht ausgegangen, vielmehr finde ich es spannend zu beobachten, wer sich wann und warum mit welchen Thematiken im Bereich der abstrakten Kunst beschäftigt hat, zum Beispiel im Hinblick auf das Verwerfen von (bildlicher) Repräsentation. Abstraktion hat ja immer auch damit zu tun, sich beständig wiederholender Repräsentationen zu entledigen.
SF: Im aktuellen Stück sprichst Du wiederum nicht direkt vom Abstrakten, jedoch von Landschaften. Was verstehst Du unter diesem Begriff?
IS: Es geht um Körperlandschaften, die in ihrem energetischen Potential und ihren Einzelelementen betrachtet werden. Um die Vielfältigkeit visueller Rhythmen und den damit einhergehenden Assoziationen. Wie bereits erwähnt, ist es mir wichtig, mich nicht in eindeutigen Bildern oder Botschaften festzulegen, sondern ich möchte für jede*n Zuschauer*in die ihm*ihr eigenen Räume öffnen. Wenn sich beim Betrachten von Zuständen, Bildern, Materialitäten die Dinge so darstellen, wie sie sind, ohne dass sie direkt etwas repräsentieren sollen, dann tun sich oft sehr persönliche Freiräume und Emotionen auf. ‘Sculpting time’ ist ein Begriff, der im Prozess immer wieder auftaucht.
SF: Und inwiefern würdest Du nun die Aspekte Landschaft und Raum / Architektur, die ja im aktuellen Stück eine wichtige Rolle spielen, in ein choreografisches Verhältnis setzen? Denn schließlich sind auch “Dinge, so wie sie sind” immer schon von gewissen (Vor-)Erfahrungen geprägt.
IS: Was wir kreativ (er)schaffen ist immer schon im Zusammenhang mit der Natur zu verstehen, so meine Meinung. Die Begriffspaare ‘natürlich – künstlich’, ‘lebendig – nicht lebendig’ wurden lange als Gegensätze verstanden, die aber nicht immer so binär betrachtet werden müssen, sondern auch im Übergang verstanden werden könnten, in einer Komplexität, in der das eine das andere spiegelt oder einschließt. So zum Beispiel Architektur, die ja teils Strukturen aus der Natur übernimmt, verarbeitet, Innen- mit Außenräumen verschränkt oder mit Spiegelungen so umgeht, dass Landschaftsbilder auf Außenflächen treffen, etc. […] In der Natur ist ein Blatt ein Blatt, ein Fels ein Fels. Er repräsentiert nichts weiter, er ist nur. Ein japanische Sprichwort, das ich vor kurzem gelesen habe, hat mich diesbezüglich emotional sehr berührt: ‘Ein fallendes Blatt nimmt es dem Wind nicht übel.’