Ende Mai feiert die neue Arbeit “Reflection” im HAU1 Premiere. Die Choreografin, die beim Deutschen Tanzpreis 2019 eine Ehrung für herausragende künstlerische Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz erhält, beschließt mit diesem Stück ihre Trilogie über kollektive Körper. Im Interview spricht sie über ihre Recherchen zu Bewegungen und die Bühnen von HAU1 und HAU2.
“Reflection” ist der letzte Teil einer Trilogie über kollektive Körper, die 2014 mit “Collective Jumps” angefangen hat und 2016 mit “Pieces and Elements” weitergeführt wurde. Das Wort ‘Reflection’ enthält sowohl eine physische als auch philosophische Konnotation. Was ist “Reflection” für dich und wie unterscheidet sich dein neues Stück von den vorhergehenden?
“Reflection” ist sowohl Spiegel als auch kritische Betrachtung von Realitäten und deren jeweiliger Wahrnehmung. Dabei spielt zum einen die Spiegelung von Bewegung eine große Rolle, zum anderen der (Blick-)Winkel und die Perspektive, von der aus man etwas betrachtet. Der Begriff ‘Reflexion’ bedeutet vielerlei: Spiegelbild, Besinnung, Kontemplation, Widerschein, Abbild, Abglanz, Gedanke, Bedenken und auch Rückschau – mit meinem neuen Gruppenstück blicke ich in gewisser Weise auch auf die vorangegangenen beiden Arbeiten zurück.
In “Collective Jumps”stand die Utopie der Gemeinschaft als (un)mögliches Gesellschaftsmodell im Mittelpunkt. Wir untersuchten Volkstänze nach ihren Anordnungen und ihren Strukturen. Verkettungen der Gliedmaßen, die wie einzelne Performer*innen fungieren, ließen einen endlosen, monströsen Gruppenkörper zum Vorschein kommen. Bei “Pieces and Elements” war es die Analogie zur Natur, die uns dazu diente, Ordnungen zwischen Körpern und Körperteilen zu choreografieren, um sie zu einer Art kubistischer Landschaft werden zu lassen. Dabei wurde die Individualität der*des Einzelnen auf die spezifische Körperkonturen, -rhythmen und -eigenheiten zurückgeführt – Gesichter sieht das Publikum in diesem Stück kaum.
Bei “Reflection” nun erscheinen alle Performer*innen auch als Personen, die in ihrer Einzigartigkeit mit den anderen in Verbindung stehen. Jede*r nimmt dabei im Verlauf des Stückes jede Rolle ein: die der*des Protagonist*in, des Helfenden, des Opfers oder der*des Anführer*in. Es entsteht ein komplexes System des ‘sich und einander Ablösens’, das Figurationen in stetigem Wandel hervorruft. Die Rollen der Performer*innen und ihre Bewegungsformen werden wiederholt und vervielfältigt, sodass das gesamte ‘Organ’ wie ein endlos fortlaufender Spiegelungsprozess erscheint, jede Bewegung in die des Nächsten übergeht, in etwa so wie bei einer Kettenreaktion.
Die blockartigen Gefüge von “Collective Jumps”und die Landschaften von “Pieces and Elements” werden durch muskelstrangähnliche Gefüge ersetzt, innerhalb derer das Führen ein Folgen beinhaltet und umgekehrt. Die Einzigartigkeit des Subjekts sich und andere zu bewegen, treibende Kraft und Motor zu sein (oder einem Motor zu folgen), ist damit in den Mittelpunkt gerückt.