Am 5. Mai 2019 erhalten She She Pop den Theaterpreis Berlin der Stiftung Preußische Seehandlung. Hier der Text der Laudatio, gehalten von der Autorin und She She Pop-Performerin Annett Gröschner und Aenne Quiñones, der Stellvertretenden Künstlerischen Leiterin desHAU, im Haus der Berliner Festspiele. Mit der HAU-Koproduktion “Oratorium – Kollektive Andacht zu einem wohlgehüteten Geheimnis” sind She She Pop derzeit beim Theatertreffen zu sehen.
Musik: Aretha Franklin & Eurythmics – Sisters Are Doin' It For Themselves
ANNETT: Wir haben euch ein Bild mitgebracht. Wir sind 29, vielleicht auch 31, sitzen in einer Kneipe namens Torpedokäfer in der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg. Es ist fünf Jahre nach der Wende, wir sind gut ausgebildet, beide alleinerziehend, haben uns in die falschen Männer verliebt, können schlecht Englisch, weil wir es bei Frau Kube und Herrn Kleinschmidt gelernt haben, und finden den Westen ätzend frauenfeindlich. Am Stammtisch sitzt die komplette Dichterszene vom Prenzlauer Berg. Wir manchmal auch, aber meistens reden die Männer. Neben uns an der Wand rennt sich der Franz Jungsche Torpedokäfer zu Tode und der immer besoffene Barkeeper schlägt die Nazis mit langstieligen Rosen aus der Kneipe, die er vorher dem tamilischen Blumenverkäufer abgekauft hat.
AENNE: Das muss ja ungefähr zur gleichen Zeit gewesen sein, als sich einige Studentinnen – oder Ilia, würdest du Studierende sagen – im fernen Gießen am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft, der heute legendären “Kaderschmiede des postdramatischen Theaters” zusammengefunden haben.
ANNETT: Oder wie es ein Großkritiker mal geschrieben hat: die Unglücksschmiede des deutschen Theaters.
Wichtig für uns war irgendwann nur, da rauszugehen im Sinne von “so we’re comin’ out of the Torpedokäfer”. Und das eigene Ding zu machen.
AENNE: Ja, genau.
Ein Gründungsmythos von She She Pop geht so:
Gießen 1993, Institut für Angewandte Theaterwissenschaft, Probebühne: Im Galaoutfit und mit angeklebten Bärten geben die Performerinnen Songs der einschlägigen Männerband “ZZ Top” zum Besten. Dazu läuft ein Video – Alltagssituationen auf der Straße und überall da, wo Männer mit Bärten auftauchen, schieben sich plötzlich diese bärtigen Frauen ins Bild.
Und so, erzählt man sich, wurde She She Pop gegründet, als die feministische Antwort auf ZZ Top. Angeblich sollen sie damals auch im wirklichen Leben Bärte in der Länge ihrer Haare getragen haben?!
ANNETT: Hm. Aneignung männlicher Diskurse und Überschreibung derselben. Coole Legende. Eine andere, weniger akademische sagt ja auch, dass She She Pop immer nackt spielen.
AENNE: Naja, hier sitzen sie ja heute noch angezogen. Aber so ist das eben immer mit den Legenden.
Übrigens, eine Theaterkritikerin hat mal geschrieben, es gäbe nichts Schöneres als mit She She Pop älter zu werden.
ANNETT: Sieht man ja an uns. Wenn ich jetzt fragen würde: Warum freust du dich, dass She She Pop den Theaterpreis Berlin bekommt: was fiele dir dazu ein?
AENNE: Ich hab mir dazu mal ’ne Liste gemacht:
Kollektiv, und noch besser: Frauenkollektiv plus 1 Mann
Feministisch, und nicht erst seit heute
mutig
solidarisch
klug
hartnäckig
glamourös
stilbildend
sexy
emanzipiert
Scheitern als Chance
unverschämt
das sagen, was alle schon mal gedacht, aber lieber nicht gesagt haben
unbestechlich
radikal subjektiv
Differenzen aushalten
Neuerfindung des Theaters
Bodenhaftung
ANNETT: Erkläre Neuerfindung des Theaters!
AENNE: Bei Hans-Thies Lehmann habe ich neulich gelesen: “In jeder Zeit sind es die neuen Formen, die das Theater gesellschaftlich belangvoll machen.” Und das heißt bei She She Pop: Keine arbeitsteiligen Hierarchien. Alle sind zugleich Autorinnen, Regisseurinnen, Performerinnen, Dramaturginnen – ein permanenter Rollenwechsel.
Gleichwertigkeit der ästhetischen Mittel. Biographisches, Bildende Kunst, Performance-Art, Musik, Film, Popkultur – alles ist Material.
Und, ANNETT, was würdest Du sagen?
ANNETT: Ich habe euch ein Bild mitgebracht, ich bin 18 und Ankleiderin an den Bühnen der Stadt Magdeburg “Maxim Gorki”. Ich stehe am Bügelbrett. 90 Hemden für den Herrenchor der Tannhäuser-Aufführung. Als ich während einer Vorstellung hinter der Bühne Heiner Müller lese, bekomme ich eine Missbilligung vom Generalintendanten. Die Schauspielerinnen über 35 warten stundenlang hinter der Bühne auf ihren einzigen Auftritt als komische Alte oder böse Stiefmutter, oder drehen gleich in der Kantine Däumchen, denn es gibt kaum Rollen für sie. Zu mir werden sie erst freundlicher, als sie erfahren, dass ich Germanistik studieren will.
AENNE: Das könnte man, wie in She She Pops “Frühlingsopfer”, eigentlich auf einen einzigen Satz reduzieren: “Einige von uns sind im Stadttheater nicht glücklich geworden.”