Es gibt zwei Erklärungen für dieses merkwürdige Bühnenbild. Aus der Sicht des Zuschauers bedeutet es, dass wir uns eigentlich hinter der Szene befinden oder anders ausgedrückt: hinter der vierten Wand. Wir sind ein Teil der Illusion und so gesehen auch verantwortlich für ihre Botschaft und Wirkung. Wir können die Grausamkeiten, die sich vor unseren Augen abspielen, nicht länger ignorieren, ob es uns passt oder nicht. Aus der Sicht der Darsteller*innen bedeutet es, dass die “Realität”, in der sie leben, die Art, wie sie das Geschehen verstehen, tatsächlich eine Illusion ist.
Das Stück stützt ausdrücklich beide Sichtweisen, da sich Mikey ständig fragt, ob die vierte Wand noch vorhanden ist. Am bemerkenswertesten aber ist die grundlegende Haltung, die er im Stück an den Tag legt. Er schwört dauernd auf die Texte Stanislawskis, der gelehrt hat, dass Schauspieler*innen wirklich fühlen sollten, was sie darstellen (und damit ein Anti-Diderot ist). Durch das Actors Studio ist dies immer noch das vorherrschende Modell im amerikanischen Kino, das wegen seines enormen Einflusses stark mitdefiniert, wie Menschen sich selbst verstehen. Das Ergebnis ist wohlbekannt: endloses Psychogeschwätz, das nach ebenso endlosen Schwierigkeiten zur Erlösung oder einer anderen Form von Happy End führt und die unterwegs angefallenen Opfer vergessen lässt. Wenn dem Stück eines gelingt, dann das: Es zeigt ganz deutlich, dass dieses sentimentale Gelaber über persönliche Erlösung (oder das “Streben nach Glück”, um den Titel eines früheren Nature-Theater-Stücks aufzugreifen) meist nur als Ausrede für unentschuldbares Verhalten dient. Genau das ist die Struktur des Stücks: eine endlose Serie von gefälscht-echten Gefühlen, inspiriert von einer gefälscht-echten Vorstellung von Authentizität, die furchtbare menschliche Verheerungen verursacht, welche durch die glückliche Versöhnung von Mikey und Georgie aber vergeben werden. Das kann das Publikum nicht unversehrt lassen. Es muss dazu wohl oder übel Stellung beziehen.
Unterstrichen wird all das durch die seltsam hybride Choreografie. Im Grunde werden die meisten Aktionen abstrakt ausgeführt, so wie es der Ballett-Code ursprünglich vorsah. Was paradox ist, denn die schwebenden Bewegungen der Tänzer*innen (einige davon tatsächlich junge Tänzer*innen, andere aber Schauspieler*innen oder Leute ohne professionelle Tanz- oder Schauspielausbildung) stehen meist in starkem Gegensatz zu dem, was sie laut Johansons Erzählung bedeuten. Die Kämpfe mit den Ballet Bandits zum Beispiel sind so choreografiert, als träfen die Schläge ins Leere. Kleine Ausnahme: Das Corps de ballet versucht in den schlimmsten Momenten des Stücks mimisch sein Entsetzen auszudrücken. Das gilt auch für die Hauptdarsteller*innen. Meist machen sie gänzlich auf abstraktes Ballett, aber in den gröbsten Szenen beginnen sie zu “schauspielern” – wenngleich ebenfalls auf eher grobe Weise. Ihre Art zu spielen hat mehr mit der gestisch und mimisch betonten Spielweise des 19. Jahrhunderts zu tun als mit moderner Schauspielkunst. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nicht einmal die Ballettmomente homogen sind. Sie sind ein wildes Durcheinander aus Ballett, Körperübungen und Slapstick. Dieser hybride Charakter des Tanzes ist selbst bezeichnend. Er offenbart, mit welcher Beliebigkeit wir uns des Gegebenen bedienen, um uns Befriedigung zu verschaffen, und sei es nur durch die Verführung unseres Publikums.
Dies ist ein Auszug aus dem Text “Ganz aus Zeit und Energie” von Pieter T’Jonck, der in dem Buch “Leben und Arbeit des Nature Theater of Oklahoma”, hrsg. von Florian Malzacher, erschienen ist.
Deutsche Übersetzung von Wilfried Prantner