Podcast “Burning Futures: On Ecologies of Existence. #1 Facing Extinction!”

Too little, too late: Blickt man auf den Zustand unseres Planeten, gibt es allen Grund zur Sorge. Die Geschwindigkeit und die Größenordnung der Katastrophen, die sich mit Klimawandel, Artensterben, Wetterextremen, Waldbränden, Verschmutzung und Vernutzung von Boden, Luft und Wasser vor uns auftürmen, sind beispiellos und ebenso real wie unbegreiflich. Wie gehen wir damit um, dass es zu spät ist? Was hieße es, vom Ende her zu denken, um mit der kommenden Katastrophe umzugehen? Und was genau geht hier überhaupt zu Ende: die Welt, die Menschheit, die Artenvielfalt, der Glaube an unsere bisherige Lebensweise? 

Willkommen zur ersten Ausgabe von “Burning Futures: On Ecologies of Existence” – der Podcast. Die neue Diskursreihe des HAU Hebbel am Ufer – initiiert von Margarita Tsomou (HAU) und kuratiert in Kooperation mit Maximilian Haas – befragt die derzeit um sich greifenden und durchaus apokalyptisch anmutenden Diskurse vom kommenden Ende vor dem Hintergrund einer wachsenden ökologischen Krise und sucht nach Handlungsmöglichkeiten.

Mit der Diskursreihe nehmen wir eine intersektionale Perspektive ein, um ökologische Fragen zu beantworten. Die erste Ausgabe fand am 4. November 2019 unter dem Titel “Facing Extinction“ im HAU1 statt. Die Gäste waren:

Franco Berardi Bifo, Kapitalismuskritiker und Theoretiker des italienischen Postoperaismo,
Marcela Vecchione, Professorin am Institut für Advanced Amazonian Studies in Brasilien,
sowie Antonia Majaca, feministische Theoretikerin (IZK, Universität Graz).

Die Veranstaltung wurde moderiert von Margarita Tsomou. 
Podcast-Produktion: Fritz Schlüter. Sprecher: Orlando de Boeykens. Jingle: Sonja Deffner
Eine Veranstaltungsreihe des HAU Hebbel am Ufer. Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Mit freundlicher Unterstütung der Heinrich-Böll-Stiftung.

Burning Futures: On Ecologies of Existence

#1 Facing Extinction!

Mit Marcela Vecchione, Franco Berardi Bifo und Antonia Majaca / Statement: Hugo Sir
Moderation: Maximilian Haas und Margarita Tsomou

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“Collective Jumps” und “Pieces and Elements” wurden im HAU2 uraufgeführt. Mit “Reflection” gehst Du nun ans HAU1, in einen historischen Theaterbau mit besonderen technischen und architektonischen Voraussetzungen. Inwiefern hat dieser Ort die Choreografie beeinflusst?
Das HAU1 ist für mich wie ein Charakter. Es hat eine eigene Präsenz, steckt voller Geschichten und ist mit Rängen ausgestattet sowie mit einer komplexen Theatermaschinerie. Es gibt ein Portal, eine Bühne, die höher ist als das Parkett; einen ehemaligen Orchestergraben, eine Drehbühne, Versenkungen und Züge. Es ist kein neutraler Ort, der hinter dem Bühnengeschehen verschwindet, wie das so oft bei der sogenannten ‘Blackbox’ der Fall ist. Ich finde es fantastisch nach all den Jahren, an einem traditionellen Theater zu arbeiten. Meine streng formalen und abstrakten Choreografien sind der Architektur und Geschichte dieses Ortes ausgesetzt. Sie können sich daran reiben. Wir bewegen uns während der Aufführung aus dem Zuschauerraum heraus (der als sozialer Versammlungsort stark von Historie geprägt ist). Auch treten wir in Interaktion mit der Apparatur, der Bühnentechnik des HAU1, z.B. mit der Drehbühne. Sobald sich ihr Motor in Bewegung setzt, entsteht eine Kraft (neben der Schwerkraft), die auf die Biomechanik der menschlichen Bewegung einwirkt. In anderen Momenten sind es die beweglichen Züge, Theatervorhänge etc., die das Geschehen mitbestimmen. Die Theatertechniker*innen haben also jede Menge zu tun und sind Teil unserer Choreografie und unserer Prozesse…
 

“Ich bin ich fasziniert von der ‘natürlichen Bewegung’, von ihrer Einfachheit und zugleich ihrer Schönheit, Sinnlichkeit, und ihre Komplexität.”

Die starke visuelle Kraft deiner Arbeit beruht auf einer kontinuierlichen Bewegungsrecherche, die sich aus der Embryologie, somatischen Praktiken wie Body-Mind-Centering und aus dem Shiatsu speist. In “Reflection”beziehst Du zudem Elemente aus dem Aikido mit ein. Welche Beziehung hast Du zu dieser japanischen Kampfkunst und wie lässt Du sie in deine choreografische Praxis einfließen? 
Der Schlüssel für meine Recherche liegt in der Kontinuität des eigenen Lernens. Ich bin ständig dabei, selbst weiter zu lernen, Neues zu erfahren. Eigentlich geht es mir immer wieder darum, ‘natürliche Bewegung’zu erfassen. Von ihr bin ich fasziniert, von ihrer Einfachheit und zugleich - wenn sie stimmig ist - ihrer Schönheit, Sinnlichkeit, und ihre Komplexität.Vor noch fünf Jahren habe ich mich dieser Faszination hauptsächlich über BMC angenähert. Bei der ‘erfahrbaren Embryologie’ hat mich beeindruckt, wie die Entstehung des menschlichen Körpers als biologischer Prozess mit dem Außen, also der sichtbaren Form zusammenhängt; wie sie Bewegungsrichtungen vorgibt. Dieser Vorgang gleicht einem choreografischen Prozess.
Beim Shiatsu geht es ganz stark um die Verbindung von Selbst und dem Anderen und darum, wie man sich vom Gegenüber im eigenen Tun führen lassen kann. Beim Aikido rückt das Verständnis der eignen Bewegung im Verhältnis zur Schwerkraft in den Mittelpunkt: Wie können Kräfte gelenkt werden und beim Gegenüber ankommen? Wie können sie stimmig aufeinander einwirken und zu einem freien energetischen Fluss, zu einer Einheit mit dem Partner geführt werden? Im Prinzip haben all diese Praktiken eines gemeinsam: die Idee, den Innen/Außen-Dualismus über eineKörperpraxis aufzuheben, um das Innen/Außen als Einheit verstehen zu können.
Eigentlich geht es mir immer wieder darum, ‘natürliche Bewegung’zu erfassen. Von ihr bin ich fasziniert, von ihrer Einfachheit und zugleich - wenn sie stimmig ist - ihrer Schönheit, Sinnlichkeit, und ihre Komplexität.Deshalb würde ich weniger von verschiedenen Herangehensweisen sprechen, als vielmehr von einer kontinuierlichen Entwicklung, einem Weg – genannt ‘Do’ im Japanischen. Diesen Weg teile ich mit anderen, mit den Performer*innen, die teils nun schon eine lange Strecke mit mir zurückgelegt haben. Was das Aikido betrifft, habe ich das Glück, mit Gerhard Walter einen Meister gefunden zu haben, der für mich sicherlich einer der wichtigsten Lehrer überhaupt ist. Im täglichen Training bei ihm wird eigentlich nicht wirklich die Technik des Aikidos in den Mittelpunkt gerückt, sondern die natürliche Bewegung, welche auf Gewichtsverlagerung beruht. Im Einklang mit der Schwerkraft zu sein, die leichte, filigrane Balance zu finden, mit der wir die Schwerkraft überwinden, die Rotation bei der Gewichtsverlagerung zu erforschen und jede Bewegung immer wieder auf das eine, gleichbleibende Grundprinzip zurückzuführen, das ist die Kunst, die wir dort im ‘Dojo’praktizieren, und das ist faszinierend: Jede Technik wird immer wieder auf das ihr zugrundeliegende Grundprinzip der Gewichtsverlagerung zurückgeführt. Eins führt zu zehntausend (Techniken). Das tägliche Praktizieren dieser Prinzipien ist es, was mich fasziniert, was ich weitergebe und dann choreografisch in eine eigene Form bringe.

Interview: Elena Basteri

Wie eine Kettenreaktion

Isabelle Schad im Interview

Ende Mai feiert Isabelle Schads neue Arbeit “Reflection” am HAU Premiere. Die Choreografin, die beim Deutschen Tanzpreis 2019 eine Ehrung für herausragende künstlerische Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz erhält, beschließt mit diesem Stück ihre Trilogie über kollektive Körper. Im Interview spricht sie über ihre Recherchen zu Bewegungen und die Bühnen von HAU1 und HAU2.

“Reflection” ist der letzte Teil einer Trilogie über kollektive Körper, die 2014 mit “Collective Jumps”angefangen hat und 2016 mit “Pieces and Elements”weitergeführt wurde. Das Wort ‘Reflection’ enthält sowohl eine physische als auch philosophische Konnotation. Was ist “Reflection” für dich und wie unterscheidet sich dein neues Stück von den vorhergehenden?
“Reflection” ist sowohl Spiegel als auch kritische Betrachtung von Realitäten und deren jeweiliger Wahrnehmung. Dabei spielt zum einen die Spiegelung von Bewegung eine große Rolle, zum anderen der (Blick-)Winkel und die Perspektive, von der aus man etwas betrachtet. Der Begriff ‘Reflexion’ bedeutet vielerlei: Spiegelbild, Besinnung, Kontemplation, Widerschein, Abbild, Abglanz, Gedanke, Bedenken und auch Rückschau – mit meinem neuen Gruppenstück blicke ich in gewisser Weise auch auf die vorangegangenen beiden Arbeiten zurück.
Bei “Reflection”nun erscheinen alle Performer*innen auch als Personen, die in ihrer Einzigartigkeit mit den anderen in Verbindung stehen.Jede*r nimmt dabei im Verlauf des Stückes jede Rolle ein: die der*des Protagonist*in, des Helfenden, des Opfers oder der*des Anführer*in. Es entsteht ein komplexes System des ‘sich und einander Ablösens’, das Figurationen in stetigem Wandel hervorruft. Die Rollen der Performer*innen und ihre Bewegungsformen werden wiederholt und vervielfältigt, sodass das gesamte ‘Organ’ wie ein endlos fortlaufender Spiegelungsprozess erscheint, jede Bewegung in die des Nächsten übergeht, in etwa so wie bei einer Kettenreaktion.
Die blockartigen Gefüge von “Collective Jumps”und die Landschaften von “Pieces and Elements”werden durch muskelstrangähnliche Gefüge ersetzt, innerhalb derer das Führen ein Folgen beinhaltet und umgekehrt. Die Einzigartigkeit des Subjekts sich und andere zu bewegen, treibende Kraft und Motor zu sein (oder einem Motor zu folgen), ist damit in den Mittelpunkt gerückt.

“Bei ‘Reflection’ erscheinen alle Performer*innen auch als Personen, die in ihrer Einzigartigkeit mit den anderen in Verbindung stehen.”

Isabelle Schad

Reflection

Im Rahmen der Trilogie “Group Works”

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