AV: Und ich sehe gleichzeitig gerade viele ältere Menschen, die ihre Telefone nicht mehr aus der Hand legen können.
LS: Wenn ich persönlich in die sozialen Medien eintauche, finde ich es sehr interessant zu beobachten, dass Menschen dort Versionen von sich selbst präsentieren, die stark konstruiert sind. Ich erkenne eine Menge Schmerz und Traurigkeit in den Menschen, die sich dem Showbusiness der digitalen Selbstdarstellung verschrieben haben, was wiederum ein gewisses Maß an Empathie in mir auslöst. Diese Art der Darstellung ist sehr aufschlussreich und kann großartig sein, wenn man Verbindungen aufbauen und neue Beziehungen mit Unbekannten initiieren möchte. Bei dem Projekt, das wir für “Spy on Me #2” durchführen, haben Alex und ich über solche Netzwerke eine besondere Verbindung zu Oozing Gloop hergestellt, und es war eine wahre Freude. In der analogen Welt hätten wir vielleicht nicht auf die gleiche Art und Weise Kontakt aufnehmen können. Nachdem wir die Verbindung aufgenommen hatten, verließen wir jedoch unseren Platz hinter dem Bildschirm und trafen uns in einem Raum, wo wir nun – ganz physisch real – zusammenarbeiten. Wenn man für solche Verbindungen offen ist, können digitale Netzwerke tolle Orte sein. Was die Empathie angeht, so hängt es meiner Meinung nach davon ab, was man sucht, wenn man die Verbindung zu einem Netzwerk eingeht. Phänomene wie Trolling und Cyberbullying scheinen zu beweisen, dass es da draußen Menschen mit einem verzerrten Verhältnis zur Macht gibt, dass es andererseits aber auch online Gruppen und Gemeinschaften gibt, die sich gegenseitig unterstützen und die einem sehr freundlich begegnen, wenn man sie aufsucht.
NR: Nun, es gibt sicher eine Form von geistiger und gedanklicher Empathie und dann wiederum Empathie, die über den Körper funktioniert. Auf der einen Seite denke ich z.B. an die Empathie, die ich empfinde, wenn ich online etwas sehe, sagen wir mal: Ich sehe online einen verletzten Hund und mein Gehirn reagiert auf eine bestimmte Weise. Nun habe ich die Möglichkeit, einen Kommentar abzugeben und so mein Mitgefühl auszudrücken. Mein Mitgefühl wird sich sicher anders anfühlen, wenn sich der verletzte Hund im gleichen Zimmer befindet wie ich. Wie wirkt sich dieser Unterschied auf mein Verhalten aus? Ich führe hier also noch einmal den Körper als eines der besten technologischen Hilfsmittel an, das je geschaffen wurde. Eine seiner wichtigsten Funktionen ist die Empathie, es geht dabei um Liebe und Gefühl. Diese Konzepte werden eben durch den Körper aktiviert. Man kann sie auch über das Gehirn empfinden, aber das ist oft hauptsächlich Projektion. Das ist wie im Kopf masturbieren, was auch gut ist. Aber es gibt nichts Besseres, als durch den Körper Empathie zu empfinden. Wir müssen anfangen, diese Bedeutung anzunehmen, wenn wir weiterhin in unserem Körper präsent und menschlich bleiben wollen.
AV: “P.O.R.N.” zeigt jedoch eine Geschichte, in der diese Verbindung am Ende scheitert.
NR: Natürlich, es ist ja auch eine Tragödie! Für mich ist die Tragödie das perfekte Format für “P.O.R.N.” Sie fängt Machtdynamiken gut ein und zeigt, wie Macht alles korrumpiert. Gefühle sind ein Teil unserer Verfassung. Wenn Sie sich also ein wenig deprimiert und verängstigt fühlen, kommen Sie und schauen Sie sich das Stück an. Es wird Sie tief traurig stimmen, aber Sie werden von anderen Menschen umgeben sein, die ebenfalls traurig sind. Und das ist auch eine Art des Zusammenseins.
AV: Nach der Vorstellung kann man also die Wirkung von Katharsis spüren, und sogar den Wunsch, die Person neben uns zu umarmen. Und wenn wir aus der Performance von NewfrontEars kommen, können wir denken: “Man kann mit diesen Technologien echten Unsinn treiben; wir können sie verdrehen und für unsere eigenen Zwecke nutzen!” Es sind verschiedene Strategien im Spiel. Es ist Zeit, den Spaß und die Kreativität zu entdecken, die das Experimentieren mit Technologien bringen kann und unser Reflexionsvermögen durch verschiedene künstlerische und theoretische Impulse zu verbessern. Wir müssen immer weiter lernen!