Mitte März erkrankte Paul B. Preciado am Coronavirus. Der Vordenker auf den Gebieten Queer Studies und Philosophie des Körpers schrieb kurz darauf einen Text über das politische Seuchenmanagement von Covid-19. Er diskutiert darin den Begriff der Immunität in seiner politischen und medizinischen Dimension und zeigt auf, wie die über Jahre entwickelten Grenzpolitiken des Ausschlusses nun auf der Ebene des individuellen Körpers zum Einsatz kommen. Dabei konstatiert er eine Kontinuität und Radikalisierung von Foucaults Thesen zur biopolitischen Überwachung in der Disziplinargesellschaft im Umgang mit vergangenen Epidemien. Schließlich plädiert er für Heilung durch eine gewählte statt der derzeitigen erzwungenen Mutation – einer politischen Transformation als Kollektiv, das für ein neues Gleichgewicht in der Gemeinschaft aller Lebewesen kämpft.
Wäre Michel Foucault nicht 1984 an Aids gestorben, sondern hätte die Erfindung der Dreifachtherapie erlebt, wäre er heute vielleicht noch am Leben und mittlerweile 93 Jahre alt. Würde er sich in seiner Wohnung in der Rue de Vaugirard einsperren lassen? Der erste Philosoph, der den Folgen der vom HI-Virus ausgelösten Immunschwächekrankheit erlag, hat uns eine Reihe von Begriffen hinterlassen, die helfen können, über das politische Seuchenmanagement in Zeiten des Coronavirus nachzudenken, Begriffe, die inmitten der ganzen Panik und Desinformation so nützlich sind wie eine gute Denkschutzmaske.
Im Zentrum aller Politik steht der lebende (also sterbliche) Körper – das ist das Wichtigste, was Foucault uns gelehrt hat. Keine Politik, die nicht Politik der Körper wäre. Der Körper aber ist für Foucault kein biologischer Organismus, den es schon gibt, bevor Macht über ihn ausgeübt wird. Es ist vielmehr Aufgabe des politischen Handelns selbst, den Körper erst herzustellen, ihn arbeiten zu lassen, seine Produktions- und Reproduktionsweisen festzulegen und die Diskursmodi vorzuzeichnen, in denen dieser Körper sich selbst fiktionalisiert, um schließlich “ich” sagen zu können. Foucaults gesamtes Werk kann als historische Analyse der unterschiedlichen Machttechniken begriffen werden, die das Leben und den Tod der Bevölkerung verwalten. 1975, als “Überwachen und Strafen”, und 1976, als der erste Band der “Geschichte der Sexualität” erscheint, bedient Foucault sich des Begriffs “Biopolitik”, um die Beziehung zu fassen, die der Staat in der Moderne zum Gesellschaftskörper unterhält. Er beschreibt den Übergang von dem, was er eine “souveräne Gesellschaft” nennt, die Souveränität im Zuge einer Ritualisierung des Todes definiert, zu einer “Disziplinargesellschaft”, die das Leben der Bevölkerung nach Maßgabe des nationalen Interesses verwaltet und optimiert. Die biopolitischen Regierungstechniken haben sich Foucault zufolge wie ein Machtgeflecht ausgebreitet, das über die Sphäre des Rechts und der Bestrafung hinausgreift, um zu einer horizontalen, krakenhaften Kraft zu werden, die das gesamte Staatsgebiet überzieht und am Ende den individuellen Körper selbst durchdringt.