Anlässlich des Festivals “The Present Is Not Enough – Performing Queer Histories and Futures”, das vom 20.–30.6.2019 im HAU Hebbel am Ufer stattfindet, fragen wir: Welche Narrative fehlen immer noch, wenn wir über queere Geschichte(n) sprechen? Der Philosoph und Queer-Theoretiker Paul B. Preciado hat eine Antwort: Wir sagen Revolution!
Es heißt, dass die Gurus des alten, kolonialen Europa sich in letzter Zeit darauf eingeschossen hätten, den Aktivist*innen der Occupy-, Indignados-, Menschen mit Behinderung-, Trans-LGBTQ-Intersex- und Postporn-Bewegungen zu erklären, wir könnten keine Revolution machen, weil wir keine Ideologie hätten. Sie sagen: eine Ideologie, so wie meine Mutter sagte: ein Ehemann. Also gut, wir brauchen weder Ideologie noch Ehemann. Als neue Feminist*innen brauchen wir keinen Mann, weil wir keine Frauen sind. Ebensowenig brauchen wir eine Ideologie, weil wir kein Volk sind. Weder Kommunismus noch Liberalismus. Auch nicht die alte katholisch-muslimisch-jüdische Leier. Wir sprechen eine andere Sprache. Sie sagen Repräsentation. Wir sagen Experimentieren. Sie sagen Identität. Wir sagen Vielheit [“multitude”]. Sie sagen, die Banlieue muss beherrscht, wir sagen, die Stadt muss durchmischt werden. Sie sagen Schuld. Wir sagen sexuelle Kooperation und körperliche Unabhängigkeit. Sie sagen Humankapital. Wir sagen artenübergreifende Allianz in blanker Münze [“alliance multi-espèces”, Wortspiel mit “espèce” (Art) und “espèces” (Bargeld); A.d.Ü.]. Sie sagen, Pferdefleisch muss auf den Tisch. Wir sagen, besteigen wir die Pferde, um gemeinsam dem globalen Schlachthof zu entkommen. Sie sagen Macht. Wir sagen Kraft. Sie sagen Integration. Wir sagen Nicht-Verschlüsseln. Sie sagen Mann/Frau, schwarz/weiß, menschlich/tierisch, homosexuell/heterosexuell, Israel/Palästina. Wir sagen, du weißt doch, dass dein Apparat zur Wahrheitsproduktion nicht mehr funktioniert ...