“Es liegt an uns, was wir damit anstellen.”

Janne Kummer und Àlex Serrano im Interview

Auch wenn Künstliche Intelligenzen praktische Hilfen im Alltag bieten, ist der öffentliche Diskurs darüber in letzter Zeit von dystopischen Zukunftsszenarien geprägt. Erwarten wir zu viel, wenn wir ihnen Kreativität oder gar ethische Entscheidungsfähigkeit zuschreiben? Die beiden am Festival beteiligten Künstler*innen Janne Kummer und Àlex Serrano (Agrupación Señor Serrano) sprechen mit Sarah Reimann und Annemie Vanackere über politische Fragen hinter der Nutzung und KI als Ko-Creator.

Annemie Vanackere: 2018 haben wir mit der Festivalserie “Spy on Me” begonnen. In der ersten Ausgabe ging es um Big Data und die Bedrohung durch die Big-Data-Konzerne, die alle Aspekte unseres Lebens durchdringen wollen, um daraus Profit zu schlagen. Wir wollten bei dem Thema bleiben und haben zwei Jahre später ein neues Festival mit dem Untertitel “Künstlerische Manöver für die digitale Gegenwart” geplant. Das war im Pandemiejahr 2020. Das gesamte Festival war vorbereitet. Eine Woche vor Beginn mussten wir das Theater schließen und rein digitale Möglichkeiten zur Präsentation der Arbeiten finden. Zur gleichen Zeit sprachen wir über eine digitale Bühne, die dann auch entstanden ist. Spätere Ausgaben des Festivals befassten sich mit dem Thema neuer Communitys und stellten Fragen zu kultureller und politischer Teilhabe mittels Technologie sowie unseren neuen täglichen technologischen Begleitern.

Die künstlerischen Manöver für die digitale Gegenwart interessieren uns immer noch. Diesmal suchen wir nach Manövern für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz und so trägt die fünfte Ausgabe den Untertitel “Enter: AI”, so wie in Theaterstücken der Auftritt neuer Figuren beschrieben wird.

Janne, könntest du kurz beschreiben, woran du arbeitest und was dich daran interessiert, mit KI zu arbeiten? 

Janne Kummer: Mit der Schnittstelle von Technologie und darstellender Kunst befasse ich mich seit vielen Jahren. Ich bin immer superkritisch, was die Arbeit mit digitaler Technologie angeht. Ganz schlimm finde ich es, wenn sie nur um ihrer selbst willen verwendet wird.

Ich denke, wir stehen bei dem Thema KI vor einer so großen Veränderung wie in den 90ern, als das Internet aufkam. Bei KI ist das nur weniger auffällig, denn wir haben nicht plötzlich ein neues Gerät, mit dem wir umgehen müssen, wie damals mit dem Computer. Aber die Auswirkungen werden ähnlich weitreichend sein. Am beunruhigendsten finde ich algorithmische Entscheidungsgewalt – beispielsweise in KI basierter Kriegsführung. KI fällt hier existenzielle Entscheidungen, wer leben darf und wer nicht, welche Körper wertvoller sind als andere. 

Mit der Recherche zu dem Projekt “Unreal Conditionals”, das im Festival Premiere haben wird, haben wir angefangen, kurz nachdem ChatGPT herauskam. Durch die Auseinandersetzung mit ChatGPT hat sich die öffentliche Wahrnehmung von KI dahingehend verändert, dass man jetzt eine Ahnung davon hat, was sie kann. Die Folge war die Entwicklung eines hyper-dystopischen Narrativs. Es gab diesen merkwürdigen Brief, den unter anderem Elon Musk unterzeichnet hat, in dem es hieß: Wir müssen alle Forschung an Künstlicher Intelligenz einstellen. Was natürlich ein Riesenwitz ist, wenn man sich anguckt, wie Elon Musk agiert. Er und andere Unternehmer*innen fördern in erster Linie ein Wettrüsten der Technologie. All die großen Technikkonzerne versuchen, ganz vorne mit dabei zu sein, damit zum Beispiel ihre App am meisten verwendet wird. Elon Musk hatte hier so eine Art Schachstrategie. Er will den anderen um einen Zug voraus sein.

In meinen Arbeiten setze ich mich mit den Funktionsweisen von digitaler Technologie auseinander. Für mich ist es wichtig zu verstehen, wie Technologien, die einen so fundamentalen Einfluss auf alle Lebensbereiche haben, funktionieren. Welche Narrative werden durch sie hervorgebracht oder fortgeführt? Wem dienen sie, wer leidet unter ihnen? Und gibt es Möglichkeiten der Subversion und Umnutzung? Ich suche Alternativen, wie diese Welt sein könnte.

Für die neue Produktion habe ich verschiedene Künstler*innen eingeladen, sich gemeinsam und aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir entwickeln die Performance auf kollektive Weise. “Unreal Conditionals” ist wie eine Mixed-Media-Story, bei der das Hauptnarrativ als Game dargestellt wird. 

Janne Kummer: Für mich ist die Entscheidung, mit KI zu arbeiten, politisch.

Sarah Reimann: Und was wird das Publikum auf der Bühne sehen?

Janne Kummer: Man sieht eine Spieleumgebung wie bei einem Open-World-Game. Wir haben vier Performer*innen, die KI-relevante Themen in performative Handlungen übersetzen. Cru Encarnação, eine*r der Performer*innen, arbeitet zum Beispiel mit Bühnenmagie. In den Vorproben haben wir uns mit dem Spiel mit visuellen Illusionen beschäftigt und wie man eine Lüge als Wahrheit verkauft. Diese performative Übersetzung knüpft an das Nachdenken über Deep Fakes an und welche Informationen als wahr gelten. Die Performances von Post-Organic Bauplan konzentrieren sich auf das Verhältnis zu Technologie und die Möglichkeit, den Körper mithilfe von Robotern zu erweitern. Shasti arbeitet mit dem Begriff “Phantom Power” und der Frage, wie Technologie genutzt werden kann, um Stimmen außerhalb der westlichen Mehrheitsgesellschaft hörbarer zu machen. 

Annemie Vanackere: Àlex, du kommst vom Theater und hast dich in den letzten Jahren viel mit digitaler Technologie auseinandergesetzt.

Àlex Serrano: Bei unserer Performance “Una Isla” – eine Insel – sieht das Publikum ein Gespräch, das wir für die Entwicklung der Produktion mit einer Künstlichen Intelligenz geführt haben. Dieses Gespräch verfolgt zwei Fragen. Erstens: Wie sollte diese Performance aussehen? Zweitens geht es darum, wie eine auf einer Insel gestrandete Person, auf der Bühne von einem* einer Tänzer*in dargestellt, mit den Bewohner*innen des Ortes kommunizieren und so überleben kann.

Wie du schon sagst, Janne, die KIs antworten üblicherweise superwestlich und super­kommerziell. Wir mussten also schauen, wie wir mit dieser Maschine ein Projekt entwickeln können.

Annemie Vanackere: Ihr habt für das Gespräch, das wir auf der Leinwand verfolgen, eine KI trainiert. Der Dialog hat also im Vorfeld der Aufführung wirklich stattgefunden. Mich interessiert das Training. Wie seid ihr da vorgegangen?

Àlex Serrano: Uns erschien die KI wie ein Orakel, etwas Abstraktes, das keinen Körper hat, aber eine Seele.

Àlex Serrano: Uns erschien die KI wie ein Orakel, etwas Abstraktes, das keinen Körper hat, aber eine Seele. Wie ein Medium. Eine Intelligenz, die existiert und die man etwas fragen kann. 

Wir mussten immer mit der KI verhandeln, denn, wie Janne schon gesagt hat, dieses Orakel ist kein freies, ethisch denkendes Orakel. Deswegen war das Training ausgesprochen frustrierend, denn irgendwie kämpfen wir gegen Riesen, gegen ein amorphes Konstrukt. Es ist so schwierig, weil die Künstliche Intelligenz immer versucht, deinen Wünschen im kreativen Prozess zu entsprechen, aber nicht mit dem, was wir unter einer starken Idee für den kreativen Bühnenvorgang verstehen. Eher so wie bei Slimy, diesem Kinderspielzeug: Sie verhält sich wie diese Gelmasse, die man von einer Hand in die andere gleiten lässt, die sich dreht und windet und extrem Spaß macht.

Und noch zu dem Punkt von Janne, dass die großen Konzerne die Macht über die technischen Entwicklungen haben und davon profitieren: Wir dürfen nicht vergessen, dass es seit Menschengedenken mit jeder Technologie so gelaufen ist. Denken wir an das Rad, das haben die Sumerer erfunden. Zuerst wurde es nur verwendet, um Waffen zu transportieren. Es war ein Kriegsgerät und wurde für den zivilen Gebrauch nicht verwendet. Mächtige nutzen die Technologie für ihre Zwecke, und hin und wieder wird sie auch ein Teil von uns.

Annemie Vanackere: Warum arbeitest du bei all der Kritik dennoch mit KI? Du könntest diese Machtstrukturen auch zur Kenntnis nehmen und sagen: Ich mache analoges Theater, KI interessiert mich nicht.

Àlex Serrano: Ich setze mich damit auseinander, weil es mich total neugierig macht, dass etwas erscheint wie wir, aber nicht wie wir ist. Das ist doch Theater, oder nicht? Sich mit Geistern und Orakeln auseinandersetzen, nur dass diese digital sind. Keine Puppe. Kein Hamlet. Kein Golem. Sondern ein ethisches Gebilde. Das finde ich großartig und fürchte es auch irgendwie.

Annemie Vanackere: Und du, Janne?

Janne Kummer: Für mich ist die Entscheidung, mit KI zu arbeiten, politisch. Angesichts der Digitalisierung des alltäglichen Lebens denke ich: Eine ältere Generation wird hier nicht mehr berücksichtigt und versteht die Welt nicht mehr. Ich sehe ja die Veränderung, die KI schon für mich bedeutet. Ich möchte verstehen, wie das funktioniert. Und was wir gerade im Bereich der KI-Entwicklung beobachten, ist, dass sich jedes Vorurteil, jede Quelle struktureller Gewalt, die schon jetzt so systematisch ist, fortsetzt, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die kaum nachvollziehbar ist. 

Sarah Reimann: Eine Entwicklung, die uns im Festival interessiert, ist diese große kulturelle Veränderung, dass die Technologie immer “menschenähnlicher” wird. Nehmen wir zum Beispiel ChatGPT: Der Chatbot tut so, als ob er uns versteht, wir meinen, wirklich ein Gespräch führen zu können. Was haltet ihr von dieser Entwicklung?

Janne Kummer: Mit manchen Prompts bekommt man nicht so ein Standardbild oder eine Standardmusik serviert – das erfordert aber Experimentierfreude und Durchhaltevermögen. Wir haben das die queere Kunst des Prompten genannt. 

Janne Kummer: Ich glaube, unsere persönliche Filterblase wird dadurch noch stärker, als sie sowieso schon ist, weil man jetzt eine*n Assistent*in hat, die*der sich an das Gespräch erinnert. Das macht ChatGPT bereits. Die KI lernt aus dem Verlauf, also merkt sich, was sie einem schon gesagt hat – und das nicht bloß, weil die Konzerne nett sein wollen. Sie wollen, dass man von der Technologie abhängig wird – klassische Produktbindung. Ich hoffe, es kommt der Punkt, an dem es ein allgemeines Verständnis darüber gibt, dass uns diese*r Assistent*in – oder der “Agent” – nur begrenzte Ergebnisse liefern kann.

Sarah Reimann: Und für dich, Àlex?

Àlex Serrano: Mit KI kann man bestimmte Krebsarten erkennen oder eine Rakete lenken. Wir geben ihr ihre Anwendungsgebiete. Sie ist also auch von uns abhängig. Was heißt das für uns? Und wer besitzt diese Technologie? Das ist wie mit Zyanid: ein tödliches Gift, aber auch ein blaues Pigment, mit dem man großartige Gemälde malen kann. Es liegt an uns, was wir damit anstellen.

Annemie Vanackere: Da kommen die politischen Fragen ins Spiel. Ich war überrascht, dass die KI in eurer Performance tatsächlich den ethischen Part übernommen hat. Wolltest du eine ethische KI für die Bühne schaffen?

Àlex Serrano: Genau. Die KI wirkt ethischer als wir selbst. Irgendwie hat diese KI, dieser Geist, sie oder er, gelernt, sich ethisch zu verhalten. Deswegen spielen wir als Gruppe den subversiven Part, den Guerillapart, und versuchen, die falsche Ethik zu demaskieren. Das ist ein Spiegelkabinett, man weiß nie, was man sieht. Ist das wirklich eine politische Überzeugung oder nur eine Simulation? Dieses Spiel gefällt uns sehr. 

Sarah Reimann: Janne, glaubst du, man kann eine KI erschaffen, die in dieser politischen Hinsicht klüger ist als wir?

Janne Kummer: Ich bin mir nicht sicher. Natürlich kann zum Beispiel ChatGPT ethische Antworten geben. Aber dahinter steckt doch so viel mehr. Wer verdient Geld damit? Wer hat die Kontrolle? Denn das bedeutet ja auch, dass man damit jede Richtung einschlagen kann. Diese Datenbanken und Datensätze – so vieles ist nicht öffentlich. Ich glaube immer noch, dass es superwichtig ist, dass die Leute, die KIs trainieren, viel diverser sind und nicht nur mit diesen Monopolen arbeiten, bei denen ein Konzern definiert, was ethisch richtig ist, während die ganze Struktur grundfalsch ist.

Janne Kummer: Man kann sich für ein komplett analoges Leben entscheiden, und dennoch betrifft einen KI auf alle möglichen Weisen. 

Àlex Serrano: Für mich ist nicht die Technik “schmutzig”, sondern wir. Wir können Schuldgefühle haben, weil wir die Technologie benutzen oder weil wir Avocado essen, weil ihr Konsum hier in Spanien sehr die Abholzung beschleunigt, oder man wählt jemanden, der keine Avocados anbaut und stattdessen mehr Solartechnik aufstellt. Ich will sagen: Es liegt an uns. Die 100 größten Vermögenden sind nicht Länder, sondern Konzerne. Wir wissen also, wie es läuft. Wir können uns wegen allem schuldig fühlen. Oder dieses Instrument so verwenden, dass es besser wird.

Janne Kummer: Ich wollte nicht sagen, dass wir uns jetzt alle schuldig fühlen sollten. Nicht die Endverbraucher*innen sollten sich schuldig fühlen. Aber du hast recht, wenn man mit diesen Technologien arbeitet, muss man verstehen, was dahintersteckt – politisch, ethisch, ökonomisch, ökologisch –, damit man die Möglichkeiten erkennt, sie zu verändern und zu verbessern.

Àlex Serrano: Wir nutzen dieses Instrument, dieses “schmutzige” Werkzeug, um Kunst zu machen. Vielleicht ist das schon ein Teil der Lösung. Wenigstens nutzen wir es für einen gu­ten Zweck, stimmt’s?

Annemie Vanackere: Hier sind zwei Fragen auf einmal: Erstens, gibt es Chancen auf eine Partner*innenschaft mit KI? Und zweitens: Welche Bedrohungen gibt es? Wie geht ihr mit diesen Möglichkeiten und Gefahren um?

Janne Kummer: Ich glaube, das hängt wirklich davon ab, wie man damit arbeitet. Es gibt so viele Ansätze für die Arbeit mit KI. Dabei spielt auch das eigene technische Verständnis eine Rolle. Man kann einfache*r Nutzer*in einer Software sein – man gibt eine Anweisung ein, man erhält ein Bild, einen Song, einen Text. Wenn man damit herumexperimentiert, sieht man die Klassifizierungen durch die Fragen, die man eingibt und versteht, dass die Ergebnisse super gleichförmig sind. Und von Kunst will ich ja etwas anderes als diese Durchschnittlichkeit. Ich denke also, dass man so nicht gemeinsam mit KI kreativ sein kann. Es sei denn, man wird wirklich virtuos in der Art und Weise, wie man diese Anweisungen, auch Prompts genannt, formuliert. Mit manchen Prompts bekommt man nicht so ein Standardbild oder eine Standardmusik serviert – das erfordert aber Experimentierfreude und Durchhaltevermögen. Wir haben das die queere Kunst des Prompten genannt. 

Àlex Serrano: Am liebsten mag ich das Halluzinieren, wenn die KI allmählich aufgibt und irgendwas ausspuckt, das überhaupt nicht zur Eingabe passt.

Gemeinsam kreativ kann man mit anderen Tools sein. Ich habe gerade einen Datensatz auf meine Stimme trainiert. Diesen kann ich zum Beispiel per Plug-in für Ableton (eine Musiksoftware, Anm. d. Red.) als Instrument benutzen. Dann hat man dieses sehr schieftönige, merkwürdige Instrument, auf das man vorher nie gekommen wäre. Das eröffnet neue Vorstellungsräume.

Als allapopp und ich unsere eigenen Datenbänke für das Projekt “The House of Monstress Intelligenzia” trainiert haben, wollten wir mit der Klassifizierung spielen. Dann wird KI zu einem Instrument, mit dem man gemeinsam kreativ sein kann. 

Àlex Serrano: Bei mir ist das ähnlich. Am liebsten mag ich das Halluzinieren, wenn die KI allmählich aufgibt und irgendwas ausspuckt, das überhaupt nicht zur Eingabe passt.

Janne Kummer: Dieses Halluzinieren tritt dann auf, wenn man die KI übertrainiert und mit zu vielen Daten füttert. Ich bin wirklich kein*e Freund*in der Vermenschlichung von KI, trotzdem bediene ich mich ihrer gelegentlich als künstlerisches Tool, um sie besser zu verstehen. Wenn zum Beispiel ein Mensch zu vielen Reizen ausgesetzt ist, kollabiert sein Nervensystem und er fängt möglicherweise an zu halluzinieren, wie die KI.

Àlex Serrano: Das ist super, weil es ein Extrem anstrebt, als Mensch oder als Werkzeug. Sehr gut, dass du die Programme wirklich bis zum Äußersten treibst.

Janne Kummer: Wenn ich KI auf diese Weise betrachte, eröffnen sich mir viele Perspektiven. Alle sind wegen allem, was in der Welt passiert, fertig mit den Nerven. Aber auch die Systeme, so kommt es mir vor, erzittern in diesem Sinn.

Annemie Vanackere: Wir wissen nicht, ob es dafür zu spät ist, aber ich glaube, ihr als Künstler*innen versucht, Räume zu öffnen, in denen wir nicht das gleichförmige Zeug sehen, von dem du gesprochen hast, Janne, sondern auch die anderen Möglichkeiten bei der Arbeit mit KI. Wir könnten also sagen, dass ihr beide versucht, herauszufinden, wie man mit KI als künst­lerischer Partnerin arbeiten könnte. Mit zwei unterschiedlichen Ansätzen.

Janne Kummer: Ich finde ja auch spannend, wohin das führen wird. Was bisher mit KI geschehen ist, können wir nicht mehr rückgängig machen, das gehört schon für uns alle zu unserem Leben. Alles, was man digital benutzt, wird mit KI verstärkt. Man kann sich für ein komplett analoges Leben entscheiden, und dennoch betrifft einen KI auf alle möglichen Weisen. 

Ich glaube aber nicht, dass sich die Funktionsweise in Zukunft groß ändern wird. Alle zehn Jahre oder so gibt es einen neuen Hype, und alle glauben, jetzt sei es so weit, Maschinen seien klüger als Menschen geworden, sie können sich selbst entwickeln und die Weltherrschaft übernehmen. Ich glaube nicht, dass das so bald passieren wird, denn organische Strukturen funktionieren im Kern immer noch ganz anders. 

Technik wird zum Teil menschlicher behandelt als viele Menschen auf dieser Welt, abhängig von Hautfarbe, von Herkunft, von Klasse, von Geschlecht. Das ist eigentlich das Beschissenste an der Art, wie die westliche Welt sich zu Technik positioniert: Technologie gilt allgemein als wertvoll, während es keine Reflexion darüber gibt, welche Leben als menschlich, als kostbar und schützenwert behandelt werden. 

Um zum Theater zurückzukommen: Als Performer*in glaube ich an meinen Körper. Welche Rolle spielen die darstellenden Künste? Warum machen wir das noch? Ich mache es wegen der gemeinsamen Präsenz, wegen der gemeinsamen Zeug*innenschaft, um gemeinsam körperlich im selben Raum zu sein, gemeinsam etwas zu erleben, zum Beispiel im Moment eine andere Welt zu erschaffen, mit allen, die dabei sind.

Àlex Serrano: Aus denselben Gründen machen wir als Gruppe Theater. In dieser Gesellschaft, die immer mehr vereinzelt, ist es fast das Letzte, das wir gemeinsam tun. 

Spy on Me #5 – Enter: AI
9.–19.10.2024 / HAU1, HAU2, HAU3, HAU4
Ein Festival mit Lena Biresch & Nico Parisius, Constanza Carvajal, dgtl fmnsm, doublelucky productions, Choy Ka Fai, Sarah Fartuun Heinze, Clara Herrmann, Interrobang, Johannes J. Jaruraak alias “Hungry”, Janne Kummer & collaborators, Rik Lander & Phil D Hall, NewfrontEars, Agnieszka Polska, Theresa Reiwer, Thomas Ryckewaert, Sebastian Schneider, Agrupación Señor Serrano, Claudix Vanesix, Nora Wölfing

Zum Programm

Bild: NewfrontEars, singing poster #4