Sie schreibt und wirft mit Messern, hat Sex mit Geistern und Gebäuden, beschwört archaische Bilder herauf und lässt Performances wiederauferstehen, sie ist besessen von Sprache und kommuniziert telepathisch: So skizziert die in Porto Alegre geborene, später in São Paulo tätige und jetzt in Amsterdam lebende Theaterregisseurin, Performerin und Autorin Carolina Bianchi ihr eigenes Wirken – und vermittelt damit eine Vorahnung von der Wucht, mit der ihre Performances zwischen Sinnlichkeit und Gewalt auf die Zusehenden prallen. Immer geht es ihr dabei auch um einen Bezug zum Realen der Geschichte, um eine Recherche und “Resurrection” weiblicher List und Lust ebenso wie die Transzendenz eines rationalistischen Intellekts, wenn auf einmal die Körper mit all ihren Flüssigkeiten und Zuckungen sprechen, wenn Satan sich ihrer Sprache bemächtigt.
Mit dem von ihr geleiteten Kollektiv Cara de Cavalo (“Pferdegesicht”) aus São Paulo nimmt sie in “A Noiva e o Boa Noite Cinderela” (“Die Braut und Gute Nacht Aschenputtel”, Premiere im Juli 2023 auf dem Festival d’Avignon) die wahre Geschichte einer weiblichen Performance als Ausgangspunkt: Pippa Bacca wurde am 31. März 2008 ermordet. Sie war als Performancekünstlerin auf dem Weg von Italien nach Israel, um für den Weltfrieden einzutreten. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Silvia Moro, ebenfalls Künstlerin, war sie am 8. März desselben Jahres in weißer, selbstgenähter Brautkleidung in Mailand aufgebrochen. Am Ende ihres Trips als “Brides on Tour”, für den sie über den Balkan in Richtung Naher Osten trampten, wollten sie ihre von der Reise verschmutzten Hochzeitskleider ausstellen. Doch dazu kam es nicht mehr: In der Nähe von Istanbul wurde Bacca von einem Lastwagenfahrer vergewaltigt und erwürgt. Um dieses in all seiner Tragik so symbolische Verbrechen – ein Femizid, wie er täglich ungezählt in allen Gegenden der Welt stattfindet – kreist “A Noiva e o Boa Noite Cinderela”, der erste Teil ihrer “Cadela-Força”-Trilogie (“Schlampenpower”-Dreiteiler). Und ist damit wahrscheinlich das riskanteste, bedrohlichste Werk in ihrer an diesen Kategorien bis jetzt nicht gerade armen Karriere.
“Wenn auch in meinen früheren Arbeiten das Gespenst der Gewalt gegen Frauen schon immer präsent war, wage ich es, diese Worte hier und jetzt deutlich auszusprechen und zum ersten Mal direkt auf den Punkt zu kommen”, sagt die Künstlerin im Gespräch mit Moïra Dalant vom Festival d’Avignon. So setzt sich Bianchi, die während ihres zweijährigen Master-Studiums im Amsterdamer DAS-Theatre-Programm intensiv mit Nachforschungen zu sexualisierter Gewalt und Femiziden beschäftigt hatte, erstmals selbst ins Zentrum der Gefahr. Nicht nur, um so die gegenderte Performance von Bacca “wiederauferstehen” zu lassen und ihr damit Tribut zu zollen, sondern um die Erfahrung von Gewalt hyperreal und am eigenen Leib in den Theaterraum einbrechen zu lassen. Sie schluckt im Rahmen der Aufführung eine so genannte “Gute-Nacht-Aschenputtel”-Schlaftablette, die immer wieder im Nachtleben als Date-Rape-Drug gegen Frauen zum Einsatz kommt – und wird dabei live aus der Bühne ausgeknockt und handlungsunfähig.
Mit dieser so radikalen wie konsequenten Fortführung hebt die Brasilianerin ihr Werk auf ein neues Level. Schon früher, z.B. in ihrem ebenfalls mit dem Kollektiv performten Stück “Lobo” (“Wolf”, 2018) hatte sie die sexualisierte Gewalt gegen Frauen wie die italienische Barock-Malerin Artemisia Gentileschi als Grundlage genommen, um in einer Art performativem Gemälde, untermalt mit Textstellen von Emily Dickinson und Mary Shelley, Lust, Gewalt und weibliche Macht gegeneinanderzustellen: “Ich kann mir ein Leben ohne Männer nicht vorstellen”, sagt Bianchi, die in diesem Stück mit mindestens 16 meist nackten Männern in einer Eruption von Schweiß, Speichel und Sexszenen auftritt, “und zur gleichen Zeit verspüre ich das Begehren, ihre Köpfe abzuschneiden”. In “The Magnificent Tremor” (2020), wieder mit Cara de Cavalo, verfolgt Bianchi die Widerstandspotenziale gegen patriarchale Rollenzuschreibungen weiter, indem sie sich, inspiriert u.a. durch Horrorfilme, de Sade und Woolfs Orlando, mit Hexen, Vampiren, Geistern und blutrünstigen Gräfinnen umgibt. In einem feuchten Mash-up von historischen Fakten und Fiktionen eignen sich diese lustvoll die Zuschreibung als “monströs” an, weil diese ihre Kontrollierbarkeit durch “die Männer” unterläuft.
In ihren Arbeiten, ob für die Bühne, als Text oder Film, geht Bianchi kontinuierlich und unter Zuhilfenahme der (Kunst-)Geschichte an die Grenze des Ertragbaren, weil genau diese weibliche Realitäten bis heute kennzeichnet. Dass sie dabei immer wieder ambivalente Momente transgressiver Lust und Machtverschiebungen einbaut, macht deutlich, dass es keine lineare(n) Geschichte(n) gibt – und erklärt bildreich und eindrücklich, warum der Kampf gegen patriarchale Ungleichheit nicht so schnell gewonnen ist.
Sonja Eismann