Sheena McGrandles

Porträt

Sheena McGrandles’ künstlerische Praxis lässt sich auf unterschiedlichste Arten kontextualisieren: Sei es anhand der Strenge ihres fragmentierten choreografischen Materials, hinsichtlich ihres Hintergrunds in der Arbeiter*innenklasse, ihrer großen Genre-Serie oder den dyke-campen Untertönen in ihrem gesamten Werk. So valide diese Aspekte zweifelsohne sind, liegt allem doch ein tiefes Begehren zugrunde. Denn Sheena ist begierig nach der körperlichsten und maximalen Version all ihrer Bestrebungen. Aber woher nimmt sie diese Energie?

Auf eine nüchterne, augenfunkelnde und leichtfüßige Weise ist Sheena eine Tänzerin. Sie wuchs in Nordirland auf, wo sie an Céilís teilnahm und Ballett aus einem Handbuch lernte. Nachdem sie den LABAN-Bachelor in London abschloss, zog sie 2010 nach Berlin und war direkt nach dem Masterstudiengang SODA am HZT Berlin Teil des K3-Residenzprogramms in Hamburg. Wie alle wissen, die ihre alberne und verspielte Anstößigkeit auf der Tanzfläche erlebt haben, ist ihre Form der Verkörperung unverhandelbar.

Gleiches gilt in politischer Hinsicht für Sheenas Engagement für und in der Berliner Tanzszene. Sie ist davon überzeugt, dass sie die Szene genauso sehr prägt, wie die Szene sie prägt. Die Zeit und Energie, die Sheena in die Arbeit mit Kollektiven wie PSR und neuehäute/agora fließen lässt, gilt der Entwicklung von Praktiken und sozialen Choreografien, die die Community stärken, indem sie diese demokratischer und inklusiver werden lassen.

Arbeiten wie “FLUSH” (2020) und “FIGURED” (2018) wurden von der Kritik unter anderem für ihre Hingabe an formale Prinzipien gelobt. Aber Sheena gehört auch zu den Performer*innen, die keine Miene verziehen, während man sich selbst vor Lachen krümmt. In einem Duett mit Anna Nowicka mit dem Titel “true balls” (2013) wird langsam ein riesiger Fleischklops im Licht einer Bühnenlampe gekocht, während zwei Performer*innen mit Perücken und Strümpfen über den Schuhen miteinander wrestlen. In “Steve and Sam” (2014), einem Duett mit Zinzi Buchanan, performt Sheena – in Drag als Sam – sehr einfühlsam eine Art sexuelle Zerstörung auf Kohlköpfen, die sich nach dieser Zerstörung geradezu zu sehnen scheinen. Und in ihrer Arbeit “FLUSH” wird Sheena zu einem Schinken. In all ihren Arbeiten kann Sheena einfach nicht anders, als mit dem Publikum zu verschmelzen, das sich ohnehin schon in ihren Händen befindet.

Die große Genre-Serie verknüpft die überschwängliche Energie ihrer frühen Arbeiten mit der Aufgeräumtheit der späteren Werke. Sie nutzt die großen Genres Ballett, Musical und Oper als Container für etwas, das sich noch schwieriger containen lässt als das Genre selbst: etwa Familiengründung in “DAWN” (2021), Geld in “MINT” (2024). Wenn die Form und die Themen, die sie uns seit 2018 präsentiert, ernsthaft klingen – dann, weil sie es sind. Und ein Teil dieser Ernsthaftigkeit rührt von der Angst her, als lesbische Choreografin in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden.

Das Aufregende an einem Stück wie “as long as you want” (2024), einem Duett mit Eli Cohen, ist, dass es sich um eine einstündige Tanzshow über lesbisches Begehren handelt. Ein Seufzer der Erleichterung. Auf einer Dinnerparty, von der man nur träumen kann, steuert eine anachronistische Kohorte von Autor*innen wie Sappho und Sara Torres erotische Texte bei. Sheena und die bildende Künstlerin Anna Mirkin beharrten bei der Entwicklung des Bühnenbildes auf eine lesbische Bildwelt. Zugleich schaffen sie Raum für all das, was freigesetzt wird, wenn sich auf der Bühne lediglich zwei Körper, eine Jeans und ein Teppich einfinden.

Stellen wir uns lesbische Sexualität vor, so ist sie oftmals eine stille Landschaft aus verstohlenen Blicken, Gänsehaut und zarten Liebkosungen, sanften und traurigen Romanzen und metaphorischen Wasserfällen. Sheenas Zugang zu lesbischem Begehren ist hingegen metallen (#metal). Es sticht, es sehnt sich, es ist intensiv – ein Begehren, das auf einem Aufprall und dem Nachhall basiert. Es kommt aus dem Bauch und dreht sich darum, wie wir uns unsere Körper einander als Spielwiesen anbieten – als Erweiterungen unseres eigenen Begehrens. Lesbische Zeitlichkeiten des Begehrens sind für Sheena und ihre Arbeit jetzt und solange du willst – as long as you want. 

Louise Trueheart, ins Deutsche übersetzt von Zacharias Wackwitz