“Alles wird zum Material”, sagt Aenne Quiñones über She She Pop. Das Zitat beschreibt die Arbeitsweise des Kollektivs und ist namensgebend für einen Schwerpunkt am HAU, der postdramatische Arbeiten in den Fokus rückt. Mit ihrer neuen Produktion entwerfen She She Pop einen Kanon erlebter Momente der darstellenden Künste der vergangenen 30 Jahre aus der Erinnerung – zusammen mit ihrem Publikum und ausgewählten Gästen aus der Berliner Freien Szene. “Kanon” ist Ritual, Revue und kollektive Geschichtsschreibung für jene Kunstform, die als postdramatisches Theater beschrieben wird oder dieses beeinflusst hat. Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch “Sich fremd werden. Beiträge zu einer Poetik der Performance”, das im Alexander Verlag Berlin erschienen ist.
Seit ihrer Gründung Anfang der 1990er-Jahre sind She She Pop Vorreiterinnen eines Prozesses der Neuerfindung des Theaters: Das künstlerische Selbstverständnis definiert sich nicht mehr im Kontext von Inszenierungs- und Aufführungstraditionen der Stadt- und Staatstheater. Vielmehr geht es darum, jenseits arbeitsteiliger Hierarchien, unter Einsatz von bildender Kunst, Konzepten der Performance-Art, Musik, Film und experimenteller Popkultur neue ästhetische und inhaltliche Strategien zu entwickeln. Alles wird zum Material, auch der eigene Alltag. Dies wird gelegentlich als autobiografisches Theater missverstanden und mit dem Stempel der Authentizität versehen. Tatsächlich aber ist bei She She Pop der Bezug zum eigenen Leben eine Methode, nicht das Thema. Es geht darum, wie es bei René Pollesch heißt, den “Alltag mit Theorie zu bearbeiten”, also den eigenen Alltag theoriefähig zu machen.
Widersprüche als produktiver Zündstoff. Da anzusetzen, wo es weh tut, aber nicht, um zu verletzen, sondern um sich zu orientieren, konfrontiert mit all den Verwerfungen der eigenen Alltagsrealität, ist ein Markenzeichen von She She Pop. Wo viele vor Scham wegschauen oder die Fassung verlieren, da gilt es, genauer hinzuschauen. Aber nicht, um andere vorzuführen, nein, es geht um Konventionen, um althergebrachte Muster, die uns immer wieder im Weg stehen. Shame, Shame, Shame! – She She Pop nutzen Peinlichkeit als ein probates Mittel, um gesellschaftliche Klischees zu unterlaufen und Freiraume zu eröffnen.
Sie schaffen Freiräume auch im gemeinschaftlichen Tun mit dem Publikum, das zum Bestandteil des jeweiligen Settings wird. Auch hier sollen Hierarchien möglichst aufgelöst werden, um neue Verabredungen zu treffen. Erwünscht ist dabei ein Publikum, das sich nicht mehr mit der kontemplativen Zuschauerposition zufriedengibt – die theatrale Situation wird zum Ort der Begegnung.
“Trust! Schließlich ist es Ihr Geld!” (Podewil, 1998) war die erste Arbeit, mit der sich She She Pop beim Festival “reich & berühmt” dem Berliner Publikum präsentierten. Schon hier wurde ihre offensiv spielerische Herangehensweise deutlich. Orientiert am Prinzip der table dances verhandelten Zuschauer*innen und Performer*innen, was gewünscht und was gezeigt wird. Die Idee für diesen Abend entsprang der Enttäuschung über eine geplatzte Förderung. Aber anstatt dem einfach nachzugeben, wurde noch eins draufgesetzt und das Publikum direkt zur Kasse gebeten: Ohne Geld keine Show! Scheinbar nebenbei ging es dann um prekäre Arbeitsverhältnisse, und im weiteren Sinne um das Verhältnis von Kunst und Ökonomie. Die Lust am Konflikt und die offensive Haltung haben sich She She Pop bis heute bewahrt.