Vor 20 Jahren hat Hans-Thies Lehmann das Konzept des “Postdramatischen Theaters” mit seinem gleichnamigen Buch einer internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es geht um eine nichthierarchische Theaterpraxis verbunden mit kollektiver Autor*innenschaft und einem Materialbegriff, der die Gleichwertigkeit der ästhetischen Mittel voraussetzt. Aenne Quiñones beschreibt das Konzept so:
“Das postdramatische Theater ist kein Sonderweg, sondern eine eigenständige Kunstrichtung, verbunden mit einer spezifischen Praxis. Während das herkömmliche Theater traditionell ein bestehendes Werk und dessen Interpretation durch eine*n Regisseur*in in den Mittelpunkt rückt, geht es hier generell um ein anderes Verständnis von Autor*innenschaft. Künstlerische Strategien stehen immer wieder neu zur Disposition. Nicht nur, was die Arbeitsweisen der beteiligten Künstler*innen selbst betrifft, sondern auch bezüglich des Materials, das sie gemeinsam entwickeln.”
Zum Jubiläum von Lehmanns Buchveröffentlichung zeigt das HAU sowohl neue als auch mittlerweile kanonische Arbeiten, die sich dieser Praxis besonders verpflichtet fühlen, darunter die Performance “PLAYBLACK” von Joana Tischkau über Repräsentation und Schwarze deutsche Erfahrung, der Performance-Klassiker “Quizoola!” von Forced Entertainment, “Dancing About”, das erste Tanzstück von Gob Squad und die Premiere von “Kanon”: Gemeinsam mit ausgewählten Gästen aus der Berliner Freien Szene und den Zuschauer*innen entwerfen She She Pop einen Kanon erlebter Momente der darstellenden Künste der vergangenen 30 Jahre aus der Erinnerung – eine Performance zwischen Ritual, Revue und kollektiver Geschichtsschreibung. In “the continuous activity of living people” – halb Essay, halb persönliche Reflektion – entwirft Tim Etchells, Mitglied der Gruppe Forced Entertainment, eine persönliche und differenzierte Sicht auf die Welt der Postdramatik.