Too little, too late
Blickt man auf den Zustand unseres Planeten, gibt es allen Grund zur Sorge. Die Geschwindigkeit und die Größenordnung der Katastrophen, die sich mit Klimawandel, Artensterben, Wetterextremen, Waldbränden, Verschmutzung und Vernutzung von Boden, Luft und Wasser vor uns auftürmen, sind beispiellos und ebenso real wie unbegreiflich. Die langsame Gewalt der desaströsen Entwicklungen hat sich zu einem Stakkato der Ereignisse beschleunigt: Viele Wissenschaftler*innen argumentieren, dass die Zerstörung nicht mehr aufzuhalten ist.
Die Diskursreihe des HAU Hebbel am Ufer “Burning Futures: On Ecologies of Existence” – initiiert von Margarita Tsomou (HAU) und kuratiert in Kooperation mit Maximilian Haas – befragt die derzeit um sich greifenden und durchaus apokalyptisch anmutenden Diskurse vom kommenden Ende vor dem Hintergrund einer wachsenden ökologischen Krise und sucht nach Handlungsmöglichkeiten: Wie gehen wir damit um, dass es zu spät ist, um die desaströsen Entwicklungen umzukehren? Was hieße es, vom Ende her zu denken und verantwortungsvoll mit der kommenden Katastrophe umzugehen? Und was genau geht hier überhaupt zu Ende: die Welt, die Menschheit, die Artenvielfalt, der Glaube an unsere bisherige Lebensweise? Und ist es überhaupt sinnvoll, vom Ende zu sprechen?
Apocalypse now?
Die Rede vom Ende ist von biblischer Apokalyptik geprägt und provoziert dramatische Untergangsvisionen. Wie die Kulturgeschichte zeigt, haben sich Menschen schon immer gerne ihr eigenes Ende imaginiert. Dies bedeutet natürlich nicht, dass die gegenwärtigen Beobachtungen und Befürchtungen bloße Effekt dieser Anschauungsweise sind und ihre Objekte bloß diskursiv erzeugt. Dennoch schreibt diese Apokalyptik an der Wirklichkeit unsere Wahrnehmungen mit und muss kritisch hinterfragt werden. Was wäre also die geeignete Sprache, der richtige Ton, um die sich beschleunigenden Veränderungen unserer Umwelt zu beschreiben, ohne dabei in das Horn derjenigen zu blasen, die sich nach einer einfachen Rückkehr zur vermeintlichen Ordnung der Vergangenheit sehnen?
Wessen Katastrophe: Kolonialismus, Patriarchat, Kapitalismus
Tatsache ist, dass die Zerstörung sich nicht mit einem Schlag vollziehen wird, und dass sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven sehr verschieden darstellt, etwa aus denen des Südens und des Nordens, der Armut und des Reichtums.
Im Globalen Süden werden etwa durch den Anstieg des Meeresspiegels, durch Hurrikane, Sturmfluten, Dürre und Brände die Ökologien menschlicher Existenz bereits heute vernichtet. Dabei leiden diejenigen, die die Katastrophe am wenigsten zu verantworten haben. Denn es ist vor allem die Lebens- und Produktionsweise des industrialisierten Westens, die auf die zerstörerische Ausbeutung von Ressourcen angewiesen sind, um sich zu reproduzieren. Die ökologische Frage ist somit eng mit der kolonialen Aufteilung von Wirtschaftsströmen verbunden und kommt ohne eine Kritik des heutigen Kapitalismus nicht aus. Zusammenhänge zwischen ökologischer Katastrophe und kapitalistischem Fortschritts- und Wachstumsglauben sehen auch feministische Stimmen, die mit der Kritik in die Debatte intervenieren, dass die überwiegend weibliche Sorgearbeit um Menschen und um Umwelt nach wie vor entwertet ist, obwohl sie für Zukunftsperspektiven im Kontext von „Postwachstum“ unentbehrlich sein werden.
Ökologisches Denken Intersektional
Aus diesen Überlegungen heraus möchte die Diskursreihe im HAU die Fragen des Ökologischen keineswegs wie eine Expertendebatte über “Natur” führen, sondern eine intersektionale Perspektive auf ökologische Fragen einnehmen und soziale, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenhänge explizit machen. Nicht zuletzt bildet Felix Guattaris Essay “Die drei Ökologien” von 1989 den theoretischen Ausgangspunkt unserer Konzeption: Guattari führt darin aus, dass die Fragen der Subjektivität, der sozialen Beziehungen und der natürlichen Umwelt eng miteinander zusammenhängen und wir nicht weiter kommen, wenn wir sie nicht zusammen stellen. Die Probleme sind planetarisch geworden und können auch nur so behandelt werden. Wie wäre ein planetarisches Commons denkbar, das die Ressourcen der Erde gerecht beschränkt und verteilt, und das Guattaris „drei Ökologien“ – des Mentalen, des Sozialen und der Umwelt – nicht gegeneinander ausspielt und keine von ihnen unterschlägt?
Gäste der Reihe
Dies alles soll zwischen konkreten Umweltkämpfen und spekulativen Theorieentwürfen thematisiert werden. Angefragt sind Gäste, die als Denker*innen und Philosoph*innen international wichtige Beiträge zum Thema leisten und Menschen, die in der Praxis agieren, wie Aktivist*innen aus dem Amazonas, dem Hambacher Forst oder von Extinction Rebellion.