Mamela Nyamza schuf “Hatched” 2007 als Solowerk. Ihr damals kleiner Sohn Amkele Mandla gesellte sich mit Buntstiften und Papier zu ihr auf die Bühne und malte fleißig, während seine Mutter mit Wäscheleine und Wäscheklammern einen Spitzentanz auf der Bühne aufführte. Es handelte sich um eine lyrische, aber auch sehr direkte Aussage, die sowohl auf den anschaulichen Inhalt des Stücks hinweist als auch die fordernde Verquickung von Privatem und Beruflichem für eine junge Schwarze Frau in Südafrika unterstreicht. “Ich komme aus dem Ballett, das mich als Schwarze Tänzerin nicht akzeptiert. In der Disziplin des Tanzes werden Tänzerinnen und Tänzer an sich immer runtergemacht, und dagegen kämpfe ich seit Beginn meiner Karriere an”, erzählt sie im Interview mit Alx Phillips auf lookingfordrama.com.
Nyamzas lebenslange Auseinandersetzung mit ihrem Körper als Tänzerin und ihrem beruflichen Selbstbild ist vom Kampf um Mittel, Anerkennung und Würde geprägt. Im Südafrika der Apartheid, wo Schwarze zu Bürger*innen dritter Klasse degradiert wurden, machten alltäglicher und struktureller Rassismus ihr Streben nach Spitzenleistungen in der Disziplin des Tanzes zu einer mühsamen Aufgabe. Diese Hindernisse bestehen nicht nur hinsichtlich der Mittel, der Zugänglichkeit und der Netzwerke, sondern auch in den kulturell-psychologischen Assoziationen mit dem Ballett und dem Tanz im Allgemeinen als einer institutionalisierten Kulturform. Die Vorgabe beim Balletttraining junger Menschen ist auf weiße Körper ausgerichtet: die Perfektion eines fest gebundenen Haarknotens, der nur so aussehen kann, wenn das Haar glatt ist und auf der Kopfhaut anliegt, wo man es dann zu einer kleinen Kugel auf dem Kopf dreht. Die Körperstruktur vermittelt den flüchtigen Eindruck von schlanken, straffen Muskeln.
In Südafrika ist Mamela eine viel beachtete, zeitgenössische Größe, die den Tanz so umgestaltet, dass er zu den Formen, Muskeln und Narben des Schwarzen südafrikanischen Körpers und seinen Erfahrungen passt. Sie ist mit Hass gegen Frauen und queere Körper konfrontiert, sowohl in ihrem öffentlichen Leben als auch innerhalb ihrer Familie. Sie erhebt ihre Stimme gegen Ungerechtigkeiten, erteilt neuen Generationen Ballettunterricht, entwickelt lokale Tanzprogramme und macht internationale Tourneen.
2018 kehrte sie zu “Hatched” zurück und brachte dasselbe Rot, dieselbe Körperlichkeit und fesselnde Präsenz ein. Amkele, der da 18 Jahre alt war, kommt zu einem späteren Zeitpunkt des Stücks zu ihr auf die Bühne. Er war mittlerweile ein junger Mann geworden, der sich dem Publikum zuwendet und rappt, während seine Mutter in den Hintergrund tritt, aber nicht verschwindet. Durch die Umgestaltung des Solostücks zu einem Ensemblewerk weitet Mamela das Thema der Nachkommenschaft, das sie bereits in der ersten Version der Arbeit untersuchte, vom persönlichen auf den beruflichen Bereich aus.
Bei der Premiere von “Hatched Ensemble” 2023 in Makhanda, Südafrika, knistert die Luft vor Spannung. Viele Wäscheklammern gleiten, klappern und klicken auf Tüllschichten als Gegenstimme zum klassischen Klavier. Körper queren die Bühne und durchbrechen Geschlechterzuordnungen. Festigkeit und Gelassenheit. Als die Tänzer*innen sich aufrichten, pfeifen die Zuschauer*innen hier und da, aber am Ende erheben sie sich von ihren Stühlen und tanzen. Bei der Aufführung im Market Theatre in Johannesburg singen die Leute sogar zur Musik. Körper reagieren aufeinander, drücken das Gefühl der Befreiung und des Vergnügens in Klang aus. Sie halten die Tänzer*innen, und diese halten den Raum.
Im Podcast “Listening Bodies” mit Sarah Israel and Rucera Seethal spricht Nyamza über die Tänzer*innen von “Hatched Ensemble”: “Ich sagte zu ihnen: Ihr seid nicht verantwortlich dafür, dass sie mögen oder lieben, was ihr tut. Übertreibt nicht bei dem, was ihr tut. Beruhigt euch, übertreibt die Performance nicht, tanzt nicht für mich. Ihr wisst es schon. Seid ihr selbst. Wenn du in dich hineingehst, ist alles möglich.”
Rucera Seethal
Aus dem Englischen übersetzt von Isolde Schmitt
Mamela Nyamza arbeitet als Tänzerin, Choreografin und Tanzlehrerin. Ihre klassische Tanzausbildung absolvierte sie in Kapstadt und Pretoria (Südafrika). Anschließend erhielt sie ein Stipendium für die Alvin Ailey Dance School in New York. Nyamza tanzte für verschiedene Kompanien und in Musicals und wurde zu internationalen Festivals eingeladen. Seit 2006 entwickelte sie eigene Choreografien. Darin beleuchtet sie immer wieder soziale Missstände rund um die Themen HIV/AIDS, häusliche Gewalt und Drogenmissbrauch. Zudem beschäftigt sie sich intensiv mit Menschen- und Frauenrechten. Ihre Arbeit “OKUYA PHANTSI KWEMPUMLO / THE MEAL” erhielt 2012 den The Standard Bank Ovation Award beim Grahamstown National Arts Festival und in Oprah Winfreys “O Magazine” wurde sie als eine der “top power list women” geführt. Die englische Zeitung The Guardian bezeichnet sie als eine der wichtigsten südafrikanischen Gegenwartsstimmen.