2013-2015

Phantasma und Politik

Eine Veranstaltungsreihe zu realen Sehnsüchten und zum Begehren nach Relevanz in Theater, Kunst und Musik

Ob in der Bildenden Kunst, im Theater oder in der Popkultur: In nahezu allen Sparten der Kulturproduktion boomen derzeit Projekte, die ein Ungenügen daran empfinden, dem Bezugsrahmen ästhetischer Artikulationen und Handlungen verhaftet zu bleiben. Angesichts einer vielfach als katastrophal wahrgenommenen Situation an den Finanz- und Arbeitsmärkten, in Technik und Ökologie wird der Ruf nach einer Kunst laut, die diese Entwicklungen nicht nur beschreibbar macht, sondern auch als Agent gesellschaftlicher Veränderung in eine als krisenhaft wahrgenommene “Wirklichkeit” eingreift.

Symptomatisch für diese Sehnsucht nach dem Realen sind die aktuellen Ausgaben von Kulturevents wie “Berlin Biennale”, “Berlinale” oder “documenta”, das anhaltende Interesse des Theaterbetriebs an Techniken des Dokumentarismus, an “Re-Enactments” signifikanter historischer Ereignisse und an Erkundungen des Stadtraums, aber auch die Wiederkehr des Protestsongs. Es scheint, als würden sich Künstler, Kuratoren und Kulturmanager in dem Anspruch regelrecht überschlagen, die zeitdiagnostisch richtige Formel im Umgang mit der Krise und damit das wahre Politische zu repräsentieren.

Das HAU Hebbel am Ufer möchte den Ansprüchen, welche die Sphären der Kunst und der Politik aneinander stellen, auf die Spur kommen und Perspektiven erarbeiten, ob und wie sich der traditionelle Antagonismus von Autonomie und Engagement überwinden lässt. Die von Helmut Draxler und Christoph Gurk konzipierte Veranstaltungsreihe “Phantasma und Politik” verfolgt nicht das Ziel, das Begehren nach dem Realen als solches zu diskreditieren, sondern mehr darum der Frage nachzugehen, welche Bedürfnisse sich in dieser Sehnsucht artikulieren, und nicht zuletzt auch, welche institutionellen Befindlichkeiten und Interessenlagen jeweils im Spiel sind, wenn die Kunst die Sphäre des Politischen adressiert.

Im Kulturbetrieb dient das Politische heute oft als ein ultimatives Sinnversprechen, das nicht nur die tiefen Ambivalenzen künstlerischer Produktivität aufzuheben, sondern grundsätzlich den je eigenen Bedingungen und Privilegien zu entkommen verspricht. Wer sich so der Verstrickungen in Macht und Kapital entledigt, die es doch zu benennen, zu analysieren, als kognitive Dissonanz auszuhalten und für die kulturelle Praxis produktiv zu machen gälte, kann allzu leicht eine von Zweifeln und Widersprüchen gereinigte Selbstkommunikation in Gang bringen.

Demgegenüber scheint der Terminus “Phantasma”, wie ihn Jacques Lacan ausgehend von Sigmund Freuds Phantasiebegriff geprägt hat, hervorragend geeignet, gerade die Doppelbödigkeit der kulturalisierten Politikformen zu beschreiben. Im umgangssprachlichen Gebrauch steht er für eine fehlgeleitete innere Vorstellung, ein Hirngespinst oder ein Trugbild, dem eine Verkennung der Wirklichkeit zugrunde liegt. 

Das Phantasma steht jedoch nicht im Gegensatz zum Realen, sondern bringt jede Vorstellung von Wirklichkeit überhaupt erst hervor, als verdrängter Wunsch nach dem Absoluten und nach Kontrolle. Gleichzeitig steht das Phantasma im Dienste der Abwehr eines oft traumatischen Inhalts, der umgedeutet wird, um sich der Auseinandersetzung mit den konkreten und tatsächlichen Umständen der Versagung entziehen zu können.

Aus diesem Grund ist die Konfrontation der Phantasmen mit ihrem traumatischen Substrat nicht nur für jede psychoanalytische Behandlung, sondern auch für jede Politisierung der Psychoanalyse von zentraler Bedeutung. Gerade weil am Phantasma stets ein konstruktives und gleichzeitig ein einschränkendes Moment erkennbar bleibt, scheint sich der Begriff in besonderem Maße zu eignen, die Wechselwirkungen zwischen Kultur und Politik zu adressieren.

Dieser Ausgangspunkt ermöglicht es, die grundsätzlichen Fragen nach der Phantasie im Politischen und dem Politischen als Phantasie zu stellen, dem inneren und konstruktiven Zusammenhang zwischen »fabrizierten Fiktionen« und der durch sie mitbedingten Realität nachzugehen. Es geht um nichts weniger als um die durchaus unheimliche Macht der Phantasie.

Im Winter und Frühjahr 2013 gab es drei Auftaktveranstaltungen. Die Kuratoren stellten die Projektkonzeption öffentlich vor. Im Dialog mit Künstlern und Theoretikern wie andcompany&Co, Hans Werner Krösinger, Hans-Ties Lehmann, Geert Lovink, Marion von Osten, The Otolith Group und Juliane Rebentisch wurden zentrale Fragestellungen anhand konkreter künstlerischer Arbeiten diskutiert.

Geplant sind Konferenzen und Diskussionsabende zur Theorie des Phantasmas, ihre Relevanz für den postkolonialen Diskurs, zur Kunst im öffentlichen Raum, zum Paradigma der Institutionskritik, zur Frage nach dem Politischen im Theater und zu den Möglichkeiten einer kritischen Praxis im Medium der Popkultur.

Das Projekt wird aus Mitteln des Haupstadtkulturfonds (HKF) und von House on Fire gefördert.