Ein Festival mit andcompany&Co., Sebastian Baumgarten, Ana Berkenhoff&Cecilie Ullerup Schmidt, Boris Buden, Laurent Chétouane, Marie-Hélène Gutberlet, Thomas Heise, Interrobang, Boris Nikitin, Patrick Primavesi, Damian Rebgetz & Paul Hankinson, Annegret Schlegel, Kristin Schulz, Veit Sprenger, Hans-Jürgen Syberberg, B.K. und Christa Tragelehn, Ginka Tscholakowa, Hans-Thies Lehmann, Helena Varopoulou u.a.
“Was jetzt passiert, ist die totale Besetzung mit Gegenwart”, sagte Heiner Müller bereits 1990, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer. Der Dramatiker hatte als Grenzgänger zwischen Ost und West gesellschaftliche Entwicklungen oft früher erkannt als andere. Bis zu seinem Tod wurde Müller nicht müde, unbequeme Kontinuitäten von Ausschlussmechanismen und Selektion in der deutschen Geschichte sichtbar zu machen. Dabei blieb seine Perspektive untrennbar mit den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, der Shoa und der spezifisch deutschen Symbiose aus Faschismus, Rassismus und Kapitalismus im Nationalsozialismus verbunden.
Mittlerweile sind die von ihm prophezeiten “neuen Mauern” installiert, mit denen sich die Europäische Union an ihren Außengrenzen abschottet. Die Auseinandersetzung mit Geschichte scheint zunehmend durch ein diffuses Krisenbewusstsein verdrängt zu werden. Aber um Gegenwart zu verstehen, muss man Distanz zu ihr einnehmen können. Als Heiner Müller im Dezember 1995 starb, wurde seine Beerdigung im Fernsehen übertragen. Mehr als 20 Jahre später, in einer Zeit, in der dies undenkbar erscheint, suchen wir nach heutigen Zugriffen auf seine Texte und Gedanken als Material, um “die Wirklichkeit für einen Moment unmöglich zu machen”.
"Am Verschwinden des Menschen arbeiten viele der besten Gehirne und riesige Industrien ... Das erhellt die Notwendigkeit der Kunst als Mittel, die Wirklichkeit unmöglich zu machen."
(Heiner Müller)
Vom 3. bis 13. März 2016 präsentiert das HAU Hebbel am Ufer gemeinsam mit der Internationalen Heiner Müller Gesellschaft zeitgenössische Versuche, über Müllers Positionen in Dialog mit Geschichte und Gegenwart zu treten. Das Performance-Kollektiv andcompany&Co bezieht sich in einem Lecture-Concert auf die vergessenen sozialistischen Ursprünge von Big Data und "Singularity". Der Regisseur Boris Nikitin nimmt Heiner Müllers Spur der "Lücke im System" auf und erinnert daran, dass das Theater Ort für die Tragödie(n) des Menschen ist, für sein Scheitern an einem Traum/Glauben/Prinzip/Schicksal und die Auseinandersetzung mit dem Tod. Aus der Perspektive eines queeren "Engels der Geschichte" entwickelt der australische Musiker und Performer Damian Rebgetz ein postapokalyptisches Konzert, das am Mythos von Jason und Medea in "VERKOMMENES UFER MEDEAMATERIAL ..." weiterarbeitet. Veit Sprenger (Showcase Beat Le Mot) besetzt den antiken Helden in Heiner Müllers "Herakles 2 oder die Hydra" mit einem Mädchen, das sich dem Fatalismus der kreiselnden Drehbühne nicht unterwerfen will, während Till Müller-Klug & Nina Tecklenburg(Interrobang) in ihrer hypertextuellen Telefoninstallation "Müllermatrix" dem Publikum Originalaufnahmen mit Heiner Müller zugänglich machen. Hans-Jürgen Syberberg verwandelt mit seiner Arbeit "Für Heiner Müller" den kompletten Theaterraum des HAU1 in eine begehbare Installation. Dabei setzt er die Wiederherstellung des Elternhauses in Mecklenburg-Vorpommern, das er nach der Wende als Ruine zurückkaufen konnte, in Bezug zu Heiner Müllers "Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande" (1961) und aktuellen Phänomenen von Flucht und Ausgrenzung.
Ergänzt und kommentiert werden die neuen künstlerischen Auftragsarbeiten durch ein Rahmenprogramm: Der preisgekrönte Dokumentarfilmer Thomas Heise zeigt mit "STAU – Jetzt geht’s los" sein nach wie vor aktuelles Porträt über rechtsradikale Jugendliche im Osten Deutschlands und kuratiert ein Filmprogramm. In musikalischen Statements versucht sich die junge Generation von Pop- und Rap-Musiker*innen an Heiner Müllers Lyrik, im HAU2-Studio richtet Kristin Schulz eine Filiale des "Transitraums" ein und bei Tischgesprächen mit Zeitgenoss*innen Heiner Müllers oder Expert*innen seiner Arbeit können Fragen gestellt und vertieft werden – Gäste sind Sebastian Baumgarten, Laurent Chétouane, Hans-Thies Lehmann, Helene Varopoulou, B.K. und Christa Tragelehn, Ginka Tscholakowa u.a. Dazu präsentiert das Festival auch Arbeiten des Theaternachwuchses, u.a. von Absolvent*innen des Studiengang Angewandte Theaterwissenschaft aus Gießen.
Begleitend zum Festival ist eine neue Ausgabe der HAU-Publikationsreihe erschienen, mit Texten Heiner Müller und Beiträgen von Etel Adnan, Boris Groys, Ulrike Haß, einem Vorwort von Aenne Quiñones und Anja Quickert (Internationale Heiner Müller Gesellschaft) und der Photostrecke "free fotolab" von Phil Collins mit Aufnahmen aus dem Berlin der 1990er Jahre.
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