In seiner szenischen Arbeit mit dem Abschlussjahrgang Schauspiel der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf 2015 und Studierenden der Akademie der bildenden Künste Wien nutzt Thomas Heise Heiner Müllers Komödie "Die Umsiedlerin" (1961) und Material der "Filmeinheit" der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz aus dem Jahr 1976, um sich mit dem Stück heute auseinanderzusetzen. Es geht um eine Gruppe von Bauern, Umsiedler*innen und Parteifunktionär*innen, die vor die Aufgabe gestellt werden, eine Dorfgemeinschaft zu bilden. Doch der Weg des "Neuen Menschen" ins Arbeiterparadies ist ernüchternd.
Heiner Müller/Ginka Tscholakowa
Mit ihm habe ich als Jugendlicher und später mehr als mit meinem Vater gesprochen bis zu seinem Tode, oder meiner Mutter oder meinem Bruder. Auch mit Fritz Marquardt oder Heiner Carow war das auf andere Weise so. Das ist mir irgendwann aufgefallen und ich empfand das irgendwie als ungehörig. Es ist aber so. Man konnte auch abhängen bei ihm ohne etwas zu wollen oder zu tun. Mit anderen aus der Lehrlingsklasse in der Berliner Druckerei bin ich oft zum Kissingenplatz gefahren. Manchmal brachten wir Wodka mit oder Wein. Es gab Spaghetti mit Öl und Knoblauch. Der Kühlschrank war eher leer. Wir fuhren mit Ginka Tscholakowa nach Kapellendorf bei Weimar, auf der Autobahn in ihrem Peugeot hörten wir Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ als Hörstück. Wir wollten auf der Burg von Kapellendorf Heiners „Macbeth“ als Super 8 Film drehen und wohnten beim Pfarrer, einem IM, der Tonbänder mit Helmut Kreisler und Biermann spielte.
Dann saßen wir beim Frühschoppen mit Blasmusik. Die 3 Rollen 8mm Film mit einigen Szenen sind verloren gegangen. Immer wieder sah ich mir „Die Bauern“ an. Ich zeigte Heiner meine Gesprächsprotokolle mit Arbeitern einer Reparaturbrigade und jungen Eheleuten keine zwanzig, das interessierte ihn. Bei seiner Inszenierung von „Der Auftrag“ war ich Praktikant und ich holte ihn mit Jürgen Holtz zusammen in die Kneipe der Filmhochschule nach Babelsberg, was Absicherungsmaßnahmen des MfS zur Folge hatte. Er und Jürgen Holtz stellten ernsthafte Fragen zu ihrer Arbeit an „Der Auftrag“, bekamen aber keine Antwort von den Studenten, die eine Flasche Schnaps auf den Tisch gestellt hatten, das vereinbarte Honorar, und Heiner beschrieb dann Bierdeckel.
Der Tod ist die Maske der Revolution Die Revolution ist die Maske des Todes
Mein Inszenierungsversuch von „Leben Gundlings“ an einer Potsdamer Oberschule endete nach wenigen Wochen mit einem Verbot der Abteilung Regie an der HFF und einem Hausverbot der Schule. Später hat er mich in die Akademie organisiert als Sozialmaßnahme, nachdem mein Vater gestorben war und ich ohne Chance auf Arbeit nach dem abgebrochenen Studium und inzwischen auch beim Funk entsorgt. So kam ich wieder zum Theater, zunächst zu „Der Lohndrücker“ ans DT. Dann übernahm mich Fritz Marquardt für „Germania Tod in Berlin“. Eines Tages im September 1992 kam er noch einmal nach Babelsberg. Der Taxifahrer wusste nicht den Weg durchs offene Westberlin und umfuhr die ganze Stadt mit ihm auf den alten Oststraßen, die er kannte. Es dauerte ewig. Heiner sah sich am Schneidetisch „Stau jetzt geht’s los“ an, der im Berliner Ensemble zu Spielzeitbeginn seine Premiere haben sollte und dann nicht hatte. Er konnte sich nicht durchsetzen im Fünfergremium. Und dann verpflichtete Heiner mich zu Brechts „Der Brotladen“. Das hat mich überrascht, das Zutrauen. Und ich werde seinen Besuch nicht vergessen 1994, der Durchlauf von „Zement“ im stillgelegten Kabelwerk Oberschöneweide bevor er nach München fuhr zu seiner ersten Operation. Von dem Stück hatte er mir abgeraten, das würde jetzt nicht gehen. Es ging aber. Alle 10 Vorstellungen waren ausverkauft.
In meiner ersten Erinnerung an ihn war ich dreizehn und ich sah ihn und Ginka in Ginkas Garten bei Sofia.
Ich fotografierte ihn und meinen Bruder und wir rauchten und tranken Wodka und die Amerikaner liefen auf dem Mond herum. Es war alles sehr selbstverständlich und nirgends besonders, außer in der Selbstverständlichkeit die ich von ihm wie von Ginka immer erfuhr.
Thomas Heise