26.9.–8.10.2017

Der Maulwurf macht weiter

Tiere / Politik / Performance

Pelzige Riesentiere rollen Gesteinsbrocken durch ihre Höhle, freuen sich über Regenwürmer, musizieren und kopulieren. Doch was possierlich beginnt, wird zum Gemetzel und endet mit psychedelischen Sounds. Was hat der Maulwurf vom Menschen, was der Mensch von ihm? 
Mit der Figur des blinden Tunnelgräbers transportiert der Regisseur und bildende Künstler Philippe Quesne in seinem letzten Stück “Die Nacht der Maulwürfe” eine andere Perspektive in unsere Vorstellungswelt: von unten geht  der Blick nach oben, von der Unterwelt an die der Oberfläche. “Ich will verstehen”, so Quesne, “wie man sich vor der Welt schützt und sich von ihr abkoppelt, wie man von unten über sie nachdenkt statt von oben.” Die als klassische Einzelgänger bekannten Maulwürfe bilden in Quesnes Stück eine Gemeinschaft. Doch sind sie nicht bloß Allegorien für die Menschen; sie sind Tiere und Menschen zugleich. Im Experimentierraum der Höhle wird die Frage verhandelt, wie in einem anderen Kontext neue Formen des Zusammenlebens erfunden werden können. 

Der sich den Blicken des Menschen entziehende Maulwurf, der durch sein Höhlen- und Hügeldasein gleichzeitig präsent und nicht-präsent ist, stand bereits für zahlreiche politische, literarische oder theoretische Metaphern Pate. So gibt beispielsweise Marx' “alter Maulwurf” den unermüdlichen Unterminierer, bei Kafka steht der "Riesenmaulwurf" für kognitive Dissonanzen und radikale Subjektivität, und Deleuze verabschiedet ihn gleich ganz zugunsten der Schlange, deren vielfache flexible Körperwindungen denen der Maulwurfsgänge deutlich überlegen seien. Um an diese facettenreiche Deutungsgeschichte anzuknüpfen, darüber hinausgehend aber auch grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens von Mensch und Tier aufzuwerfen, entwickelt das Festival “Der Maulwurf macht weiter” die Bedeutungsvielfalt der tierlichen (Maulwurf-)Figur in der menschlichen Vorstellungswelt weiter. In den unterschiedlichen Interventionen von Künstler*innen und Theoretiker*innen schlagen wir einen Blickwechsel vor und versuchen Gängesysteme zu einem alternativen “Wir” freizulegen. Ausgehend von Quesnes Figur des Maulwurfs stellt das Festival “Der Maulwurf macht weiter” mit Theater, Tanz, Diskurs, Musik und Installation die Frage nach einer anderen Relation zwischen Mensch und Tier, aber auch nach der Bedeutung von nicht-identischen Formen der Gemeinschaft.

Das Tier sind wir

Diskursprogramm im Rahmen des Festivals “Der Maulwurf macht weiter. Tiere / Politik / Performance”

In sieben Vorträgen nähern sich Theoretiker*innen der (Sozial-)Figur des Maulwurfs aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Zoologe, Philosoph und Journalist Cord Riechelmann wird in seinem Eröffnungsvortrag einen Blick auf das reale Leben der Maulwürfe werfen und zeigen, was wir vielleicht von ihnen lernen können. Die Kuratorin Raluca Voinea widmet sich dem Maulwurf in Beziehung zu Apokalypsen, während der Medientheoretiker Felix Stalder der Figur des Whistleblowers nachspürt. Bruno Latour hat ausgehend von Platons Höhle gemeinsam mit der Regisseurin Frédérique Aït-Touati eine spektakuläre Lecture Perfromance entwickelt. Die Philosophin Oxana Timofeeva vergleicht drei konzeptuelle (Tier-)Metaphern – Hegels Eule der Minerva, Benjamins Engel der Geschichte und Marx’ alten Maulwurf. Sie wird mit dem Philosophen, Kurator und Künstler Fahim Amir, der in den “fliegenden Maulwürfen”, den Stadttauben, multipolare Kompasse zeitgenössischer Tierpolitiken sieht, über Geschichte, Wahrheit und die Koproduktion realer Utopien diskutieren. Jack Halberstam untersucht das tierrevolutionäre Potenzial eines Zeichentrickfilms.

Termine

Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und durch die Bundeszentrale für politische Bildung.