Gegenwart heißt heute Krise. Das Chaos scheint nicht mehr nur Ausnahmezustand zu sein, sondern ein gleichermaßen bedrohliches wie unvermeidliches "Modell" für die Zukunft. Chaos macht Angst. Der Vorstellung einer ausschließlichen Bedrohung gegenüberstehend, ist das Khaos in der griechischen Antike eine ambivalentere Figur. Es versammelt unterschiedlichste Bedeutungsebenen: Gähnen, Kluft, Schlund, Abgrund. Aber es benennt auch den Horizont von Ausgedehntheit, Unermesslichkeit, Aufbrechen oder Öffnung. Als formlose Form und Streben in Richtung eines Anderes als es schon ist, ruft Khaos die Dimension des Entstehens, des Möglichen, der Erneuerung auf.
In "KHAOS" versammelt Laurent Chétouane vier Tänzer*innen und drei Musiker*innen zur Erkundung der Möglichkeiten des Khaos am Rande des Chaos. Auf der Bühne erklingt Musik von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Rihm und John Cage, die eine Affinität zum Unkontrollierbaren aufweist. Die "Turbulenzzonen" in und zwischen den Musikstücken sind Ausgangspunkt der Entstehung instabiler, bedrohlicher, zerstörerischer Räume, denen Performer und Zuschauer gleichermaßen ausgesetzt sind. Die traditionelle vertikale Achse des Tanzes verliert ihre visuell-ordnende Kraft und Halt bietet in diesen Räumen ohne feste Vektoren und Koordinaten nur noch der Boden. Der Möglichkeit des Sturzes, des Verlusts, der Angst und der Trauer ausgesetzt, wird der Tanz zu einem selbstständigen Tun und Werden, einem Zustand ohne Ziel oder planbare Zeitachse. Es entsteht dabei ein Körper, der neue Verhältnisse zum Anderen, zum Raum, zu sich selbst entdecken muss, um den blinden und disparaten Kräften, einer kontingenten Offenheit nicht ganz zum Opfer zu fallen. Die Gefahr einer Auflösung von Ordnung der einen Welt durch das Chaos wird in KHAOS als die Chance der Schaffung multipler Welten erprobt – der Versuch einer utopischen Gegenwart.
Vor der Vorstellung am 13. November findet "KHAOS - eine Debatte über (Des-)Orientierung" statt. Mit Gabriele Brandstetter, Marcus Steinweg und Joseph Vogl, moderiert von René Aguigah.
Freier Eintritt mit einem Ticket für eine Vorstellung von "KHAOS", vorherige Anmeldung erforderlich.