“Eat the Rich” ist ein episches kabarettistisches Bankett, das an zwei Abenden im HAU die verschiedenen Formen des genussvollen Widerstands durch Musik und Performance, Dialog und Essen thematisiert. Die Veranstaltung ist nach dem populären politischen Slogan benannt, der oft gegen die Ungleichverteilung von Reichtum verwendet wird und gemeinhin dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau aus dem 18. Jahrhundert zugeschrieben wird, der während der Französischen Revolution populär wurde. Eine ähnliche Unzufriedenheit gegenüber der aktuellen Ordnung bestimmt das Menü der beiden Abende, die von 3hd veranstaltet werden und die auf die Gewalt der Normativität, der Kolonisierung, des sozialen Umbruchs und der Auslöschung von queerer Geschichte reagieren.
Die achtgängige Dinner-Performance verwandelt den Aufführungsraum des HAU2 in ein Setting von Künstler*innen, die sich in einer chaotischen, von Tod und Verfall, Schönheit und Macht geprägten Landschaft bewegen. Es zielt darauf ab, den zum Schweigen Gebrachten durch das Essen eine Stimme zu geben – ähnlich wie Rousseaus grausame Metapher, die warnt: “Wenn das Volk nichts mehr zu essen hat, wird es die Reichen essen.” Im HAU wird die Klasse der Reichen nicht gefressen, außer in den Erzählungen über Dissens, Autonomie und kulturellen Ausdruck, die durch die soziale Bedeutung des gemeinsamen Essens ermöglicht werden.
Das interdisziplinäre und intersensorische Bankett verbindet verschiedene künstlerische Disziplinen und bietet sowohl dem experimentellen Musiktheater als auch musikalischen Installationen eine Bühne – wie üblich für die Künstler*innen-Plattform Creamcake, die das Festival 3hd organisiert. Der Künstler und Koch Caique Tizzi spricht mit seinen Aperitifs alle Sinne an und schafft damit eine Verbindung mit der Mikrowelt von “Eat the Rich”. Arvida Byström erforscht die Zukunft von Essen und Sex im Gespräch mit einer KI-Liebespuppe “Harmony”. Élie Autin demontiert die negativen Darstellungen rachsüchtiger römischer Göttinnen und bacchantischer Priesterinnen, die den Gott des Weins und der Ausschweifungen verehren. Odete untersucht die Überschneidungen von Magie, Geschichte und Transsexualität, und Cassie Augusta Jørgensen dekonstruiert mit “Debris in a Skin-Tight Corset” den westlichen Fetisch für Ballett und sadistische Vorstellungen von Schönheit. Hengameh Yaghoobifarah hält einen Toast und Krista Papista ruft zum Kampf gegen den Nationalismus auf – durch die Neuerfindung von Folklore. Sie konstruiert eine queere Phänomenologie durch Zerstörung. Martins Kohouts sehr persönliche Zeremonie, die sowohl den Verlust eines geliebten Menschen als auch das, was bei jedem Übergang zurückbleibt, betrauert, spiegelt die kollektive Trauer angesichts der zunehmenden politischen, wirtschaftlichen und klimatischen Unsicherheit und die Sehnsucht nach einem Wandel zum Besseren wider.