Nach den erfolgreichen Aufführungen im HAU Hebbel am Ufer im vergangenen Oktober zeigen She She Pop diesen Bilderreigen inspiriert von Wedekinds “Frühlings Erwachen” und E. L. James Erotikroman “50 Shades of Grey” mit älteren, jüngeren und ganz jungen Gästen aus der Berliner Tanz-, Performance- und Schauspiel-Szene. Nach dem Vorbild von Wedekinds utopischen Erziehungsmodellen ist die Bühne hier eine Lehranstalt und She She Pop und ihre Gäste bilden darin einen Lehrkörper.
Auf zwei großen Schautafeln auf denen durch mehrere Live-Kameras Überblendungen entstehen, inszenieren sich die verschiedenen Akteur:innen in einer Folge von Begegnungen. In wechselnden monströsen oder schlichten Aufmachungen und Posen zeigen sich unterschiedliche Generationen und Geschlechter, reale Körper und phantastische Ausgeburten, offenbaren sich strategische Authentizität und naive Imagination. Erfahrene Alte stehen neben unschuldigen Jungen, oder umgekehrt, keine Position ist sicher und niemand weiß verlässlich Bescheid.
Das Erleben von Sex verändert sich ständig – es ist historisch, politisch, biografisch und durch spezifische Kontexte bedingt. Noch die privatesten Aussagen über Begehren, Fortpflanzung, Geschlechterspezifik usw. sind Ideologie, sie sind Schall und Rauch, sie sind banal, langweilig oder Fiktion. Die Weitergabe von Wissen ist Penetration: eine geile Spielart unter anderen. Bei allem Zweifel und Unbehagen muss Aufklärung dennoch stattfinden. Was bedeutet Sex? Was macht eine Frau? Was ist ein Mann? Was weiß das Kind? Der intergenerationelle Lehrkörper von “50 Grades Of Shame” stellt sich dieser Herausforderung.
“50 Grades of Shame” befasst sich mit dem Herstellen, Betrachten, Verändern und Umdeuten von Bildern: Bilder als Ideale, als Norm, Bilder des kollektiven und des eigenen Begehrens, Bilder als konkretes Beispiel, als Pornografie, Karikatur und zersetzende Kollage. Gemeinsam mit ihren Gästen arbeiten die Performer:innen von She She Pop hier an einem neuen szenischen Format. Es gilt, die individuellen Körpergrenzen, das Alter, das Geschlecht, die eigene Scham und die mühsam errungene sexuelle Identität aufzugeben und vor der Live-Kamera miteinander zu verschmelzen in immer neuen, kollektiven Körperbildern. Jeder und jede, ob alt oder jung, ist bei aller Erfahrung naiv und muss doch den anderen belehren. Jeder und jede kann den anderen imitieren, parodieren, penetrieren. Es entsteht eine Ars Erotica für die Bühne – zwischen modernem Bilderbuch der Sexualaufklärung und spätmittelalterlichem Totentanz.