Gestaltung Gather.Town Raum: Jani Müller, Patrícia de Paula / Design Gather.Town Space: Jani Müller, Patrícia de Paula
Der Studiengang “Raumstrategien” an der Kunsthochschule in Weißensee beschäftigt sich mit künstlerischer Praxis im urbanen Raum. Die sozialpolitischen Erfahrungen unter schwierigen Umständen, wie etwa der Pandemie, haben Prof. Nasan Tur und Dr. Marianna Liosi genutzt, um eine Seminarreihe zu entwickeln, die den digitalen Raum als Teil des öffentlichen Bereichs betrachtet. Angesichts der kapitalistischen Strukturen des Internets stellen sie die Frage, ob und wie künstlerische Praktiken wirtschaftliche, geschlechtsspezifische und infrastrukturelle Barrieren überwinden können. Welche Rolle spielt das Publikum dabei? Was bedeutet künstlerisches Arbeiten im digitalen Raum, wenn wir davon ausgehen, dass das Öffentliche individueller und kollektiver Pflege bedarf?
Die auf HAU4 vorgestellten Einzel- oder Kollektivarbeiten greifen vielfältige aktuelle Fragen auf. In ihnen geht es um persönliche und gemeinschaftliche Verwundbarkeit als Auslöser sozialen Wandels, das Potenzial und die Grenzen des digitalen Raums bei der Aufarbeitung von individueller und gesellschaftlicher Erinnerung und Verlust, die Dekonstruktion der Fürsorge im Rahmen hierarchischer Strukturen und die demokratische Zugänglichkeit und ökologische Nachhaltigkeit der digitalen Infrastrukturen. Die vorgeschlagenen Projekte zielen auf eine Reflexion der politischen Transformationen, die wir im öffentlichen Bereich anstoßen können, um so zu dessen beständigem Wandel beizutragen.
Im Rahmen der fünfmonatigen Kooperation sind Projektideen entstanden, die die Studierenden auf der Forschungsplattform HAU4 präsentieren. Sie zeigen Performances, Text-, Video- und Soundmaterial sowie Social-Media-Interventionen.
Ilghar Dadgostari
“Virtual Tango”
Als eine Art Geschichtenerzähler offenbart unser Körper soziale Strukturen, innerhalb derer wir im Alltag unser physisches Dasein wahrnehmen. Dabei wird unsere Beziehung zur virtuellen Welt unserem körperlichen Verlangen nach Intimität oftmals nicht gerecht.
Wir werden von Technologien objektiviert und von den Medien und ihren Mitteln gewaltsam unterworfen. Die Pandemie und die steigende Zahl virtueller Begegnungen bringen soziale Herausforderungen mit sich, die die Wahrnehmung und das Verständnis unseres eigenen und des fremden Körpers verändern. Aktuelle Themen wie diese sind Gegenstand des Performanceprojekts “Virtual Tango”.
Fernanda Aloi, Jorge Baldeon, Sujatro Ghosh, Maricarmen Gutierrez, Tamara Margvelashvili, Cau Silva, Bo Xu
“LIEDER DER ÜBERGÄNGE”
Diese Leere und diese Lieder können wir teilen. Es gibt keine kleineren Trauerfälle, keine kleineren oder größeren Schmerzen. Die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen lässt sich weder zeitlich noch räumlich messen. Seit Beginn der Pandemie hat die Welt unter den dramatischsten Umständen gelitten und war dennoch nicht in der Lage, Trost in einem angemessenen Abschied zu finden. Die Zahlen und Nachrichten sind wie Salz auf unseren Narben und hinterlassen in unseren Köpfen nachhallende Erinnerungen. Indem wir gemeinsame Rituale und Emotionen einbringen, beten wir uns durch Momente des Leids und feiern das Leben.
Performer:innen
Fernanda Aloi
Jorge Baldeon
Sujatro Ghosh
Maricarmen Gutierrez
Tamara Margvelashvili
Cau Silva
Bo Xu
Karina Pino, Ricardo Sarmiento
“Mund auf”
“Mund Auf” ist ein künstlerisch-soziales Projekt, das ein Panorama des Lebens migrantischer Sexarbeiter:innen in Berlin in den vergangenen beiden Jahren entwirft. Es beschäftigt sich mit dem gesetzlichen Rahmen, in dem die Menschen leben und arbeiten, oft auch online. Es zeigt die verschiedenen Erfahrungen, die aus der mit dieser Form von Arbeit verbundenen Anonymität und Schutzlosigkeit resultieren. Es wird ein Teil des in persönlichen Treffen mit Sexarbeiter:innen, Kund:innen und Organisationen zusammengetragenen Materials gezeigt.
Margarete Kiss und Leon Lechner
“(HOW TO) be water – practical tips of a prickly Doomer”
“(HOW TO) be water – practical tips of a prickly Doomer” unternimmt einen Trip durch Strategien der Selbstverteidigung. Die zunehmende Überwachung öffentlicher und digitaler Räume wirft die Frage nach zukünftigen Formen des Protests auf. Wie können wir unsere eigenen Persönlichkeitsrechte und die der anderen schützen? Wie können wir voneinander lernen? Werfen wir einen Blick auf Aktivist:innen, pfiffige Vögel, Modedesigner:innen, Maskenbildner:innen und Pflanzen! Lassen wir uns inspirieren und kämpfen wir gegen das System!
Hoayun Chung
“Hospital”
Das Krankenhaus ist ein Ort, an dem nicht nur der Begriff der Gesundheit definiert wird, sondern auch ein Begriff von Krankheit erzeugt wird. Was als krank eingestuft wird, wird hinter den Mauern des Krankenhauses verborgen. Die Online-Performance “Hospital” kreiert einen metaphorischen Raum, in dem die Zuschauer:innen vor dem Bildschirm zum Körper der Patient:innen werden.
Es zeigt eine Gesellschaft, die den Körper im Irrglauben vollständiger Gesundheit unaufhörlich desinfiziert, auseinandernimmt, aufzeichnet und verändert.
Jongbin Park, Jae-Pyung Park
“Lost Ghosts”
Wohin verschwindet etwas, das wir verlieren? Bleibt vielleicht nur der Eindruck einer unendlichen Abwesenheit und unsichtbare Erinnerungen, nachdem die Dinge aus der Welt verschwunden sind? Handelt es sich um Geister?
Sie werden uns fragen: Wie könnt Ihr erkennen, dass Ihr in diesem Moment existiert, und wie könnt Ihr Euch dessen gewiss sein? “Lost Ghosts” ist eine leere Bühne in einem Kasten, wo wir dem Verlorenen begegnen können.
Marina Resende Santos, Graham Livingston
“tendergarden.io”
Die Ökonomie der Klimakompensation verbindet die Wirtschaftsproduktion mit den tatsächlichen Schäden für die Umwelt durch die Veränderung ihrer biochemischen Beschaffenheit. “tendergarden.io” betrachtet diese Verbindung von Daten, Geld, Kohlenstoff und Energie. Eine Webseite zeichnet den eigenen Energieverbrauch auf und zeigt, wie dieser in Hinblick auf die Kohlenstoffbindung in Kosten, Emissionen und Biomasse umgerechnet wird. Besucher:innen können auf der Website Livebilder eines Gartens und Echtzeit-Bildinformationen zu seiner aktuellen Kohlendioxidbindung einsehen.
Sujatro Ghosh
“The Cow Mask Project”
Das “Cow Mask Project” ist ein fiktives Archiv über Frauen, die Kuhmasken als nonverbale Form des Protests gegen die Gewalt und die Verbrechen, die im heutigen Indien an ihnen begangen werden, tragen. Das Projekt veranschaulicht visuell die absurde Dichotomie im heutigen Indien.
Das jüngste indische “Hijab-Verbot” verletzt die religiösen Freiheiten. Die Zusammenarbeit mit dem HAU ist ein Versuch, die Maske unter den Nutzer:innen von Social-Media-Plattformen zu demokratisieren und das Problem der islamfeindlichen Aufstände im Land anzugehen.
Gestaltung Gather.Town Raum: Jani Müller, Patrícia de Paula / Design Gather.Town Space: Jani Müller, Patrícia de Paula
Die Projekte werden auf der Online-Plattform Gather.Town präsentiert. In der 2D-Welt, die an alte Computerspiele erinnert, bewegen wir uns als Avatare durch den eigens für die Kooperation gestalteten digitalen Ausstellungs- und Begegnungsraum. Zu Beginn wollen wir mit den Studierenden und den Lehrenden Nasan Tur und Marianna Liosi ins Gespräch kommen. Danach gibt es Zeit, um in einem Rundgang alle acht Werke der Online-Ausstellung anzusehen. Anschließend treffen wir uns wieder und es gibt Raum für Fragen, Anregungen und Feedback.
Eine Kooperation von weißensee kunsthochschule berlin und HAU Hebbel am Ufer.