Im Rahmen von CTM 2016
Unter Verwendung von bislang unveröffentlichtem, von Christoph Schlingensief selbst gedrehtem Filmmaterial*, lassen der Musiker Hanno Leichtmann und die Filmemacherin Carolin Brandl „The African Twin Towers“ als wahnwitzig-hypnotischen Musikfilm neu aufleben.
Christoph Schlingensiefs nie fertiggestelltes Filmprojekt – der Film den es gar nicht gibt – sollte ursprünglich ein abendfüllender Film mit außergewöhnlicher Besetzung werden. Patti Smith, Robert Stadlober, Klaus Beyer und die Fassbinder-Schauspielerin Irm Hermann folgten dem 2010 verstorbenen Künstler, Theater-, Oper- und Filmemacher, der das Scheitern zur Chance und zum offenen Forschungsprojekt erklärte, zu den Dreharbeiten nach Namibia in das Township Area 7 der Hafenstadt Lüderitz, wo alle Beteiligten recht bald an ihre Grenzen kamen.
Der Plot de Films dreht sich um Nachfahren Johann Sebastian Bachs, die auf den Resten des ehemaligen kolonialen Deutsch-Südwestafrika Bach-Festspiele veranstalten wollen, mit deutscher Kultur in die Wellblechhütten von Area 7 crashen und dabei auf jede Menge Hindernisse treffen, die bald den Verfall der Familienmitglieder herbeiführen. Von hier ab verschränkt der Film deutschen Größenwahn, Richard Wagner, afrikanische Hungerkrisen, Kolonialgeschichte, Schamanismus, Nordische Mythologie und unzähliges mehr zu einem wahnwitzigen, surrealen filmischen Taumel, in dem der Regisseur mit dem Akt des Regieführens selbst als Teil des Filmes hervortritt bis schließlich alle Ebenen restlos verschwimmen. Mit dem vieldeutigen Titel „The African Twin Towers“ verwies Schlingensief auf die täglich tausenden von afrikanischen Hungertoten und auf den Hunger als Menschenverbrechen unterlassener Hilfeleistung. Hierin sah er das afrikanische Äquivalent zu den Attentaten vom 11. September auf die Türme des New Yorker World Trade Centers, deren Schatten die Opfer ausbeuterischer Politik anderswo unsichtbar werden ließ.
Teile des von Hanno Leichtmann zusammen mit Christoph Schlingensief, John Nijenhuis und indischen Musikern in Leichtmanns Studio eingespielten Soundtracks wurden 2010 auf dem Label Dekorder veröffentlicht. Für „African Twin Towers re-played“ komponiert Leichtmann nun neue Musik, (beruhend auf dem Setup und dem Spirit der ursprünglichen Aufnahmen), und durchwirkt diese mit überarbeiteten Versionen des Originalsoundtracks.
Die Filmemacherin und Videokünstlerin Carolin Brandl arbeitet für „African Twin Towers (re)played“ ausschließlich mit Minox-Filmmaterial, das von Schlingensief persönlich gedreht wurde, und setzt so Fragmente seines surreal-soghaften Bilderkosmos neu zusammen. Wie schon bei früheren Arbeiten, interagieren Brandl und Leichtmann dabei in einer Art Pingpong-Verfahren, bei dem sie Bild und Ton gleichwertig miteinander verweben.
Ein Teil der Einnahmen kommen dem Operndorf Afrika zugute – http://www.operndorf-afrika.com/
* Parallel zu den eigentlichen Dreharbeiten dokumentierte Schlingensief die Szenen zusätzlich mit seiner Minox-Kamera. Lücken und Auslassungen, extreme Nahaufnahmen sowie die ganz eigenen Ästhetik des Minox-Materials und große Intimität zeichnen dieses Aufnahmen aus.
Zuvor präsentiert der Musiker und DIY-Musik-Ethnograph Laurent Jeanneau sein Projekt Kink Gong. Seit 1999 dokumentiert Jeanneau auf vielen Reisen vor allem durch Südost-Asien lokale Musiktraditionen ethnischer Minoritäten, deren (Musik)Kulturen durch Modernisierungsprozesse bedroht sind. Die gesammelten unbearbeiteten Aufnahmen kompiliert Jeanneau zu einem wachsenden Ton- und Video-Archiv. Auszüge dieser archivarischen Arbeit wurden auf dem Label Sublime Frequencies veröffentlicht. Daneben dienen Jeanneau diese zumeist Stimm- und Perkussion-Aufnahmen als Ausgangsmaterial für spannungsgeladene eigene, durch elektronische Experimente und weitere Fieldrecordings erweiterte Klangkompositionen, in denen sich Traditionen und Avantgarden unterschiedlichster Orte zu neuer Gegenwart zusammenschließen.
Vom 30. Januar bis 7. Februar ist das CTM Festival erneut zu Gast im HAU Hebbel am Ufer. Das Programm des stets thematisch arbeitenden Berliner Musikfestivals entstand diesmal u.a. in Zusammenarbeit mit dem im Libanon geborenen Musiker Rabih Beaini und dem Schweizer Netzwerk Norient. Vor dem Hintergrund einer globalen Konfliktsituation, in dessen Zentrum die zunehmend radikal geführte Auseinandersetzung um Grenzziehungen und -auflösungen steht, schafft das CTM Festival 2016 mit dem Thema „New Geographies“ Räume für Musiken, die essentialistischen Kulturvorstellungen eine Absage erteilen und dazu beitragen, der Vielfalt einer zunehmend polyzentrischen, polychromatischen und hybriden (Musik-) Welt mit größerer Offenheit zu begegnen. Neben Auftragsstücken und Premieren präsentiert das Festival mehr denn je Künstler*innen aus Regionen jenseits der üblichen Hotspots.
Das komplette Festivalprogramm findet sich unter www.ctm-festival.de.
“African Twin Towers” ist eine Produktion der Filmgalerie 451.
CTM 2016 dankt der Filmgalerie 451 und dem Büro Schlingensief sowie Frieder Schlaich und Aino Laberenz für die Unterstützung bei der Realisierung von „African Twin Towers (re)played“.
CTM 2016 wird gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds, der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien, des Musicboard Berlin und des Programm Creative Europe der Europäischen Union. In Zusammenarbeit mit transmediale, Kulturprojekte Berlin, SHAPE und SoCCos und vielen weiteren.
Zwei markierte Parkplätze vor dem Haus vorhanden. Zugang zum Parkett über separaten Eingang mit Lift möglich. Barrierefreie Sanitäranlagen vorhanden. Tickets für Rollstuhlfahrer*innen und Begleitpersonen sind über das Ticketingsystem buchbar. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an unser Ticketing- & Service-Team unter +49 (0)30 259004-27 oder per E-Mail an
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