Foto: © Tomás Correa
Laurent Chétouanes neue Tanzproduktion ist nichts anderes als eine Offenbarung. Er bringt darin erstmals jene Schrift auf die Bühne, die schon seit Jahren das heimliche Movens seiner Choreografien ist, nämlich Heinrich von Kleists Essay “Über das Marionettentheater”. Was in diesem Text verhandelt wird, ist bekannt: die Grazie des Menschen. Ihr verschreibt sich Chétouane und macht sie als jenes Unzeitgemäße sichtbar, das im Tanz vielleicht trotz allem wieder erscheinen kann.
Denn nichts im Tanz scheint so weit weg wie die Grazie. Vergangen oder nie da gewesen, nie kommend, fristet sie ein scheinbar unauflösbares Schattendasein. Im Ballett das einstige Streben nach ihr, die museale Form einer strikten Körpertechnik – im zeitgenössischen Tanz ihre Abwesenheit, ein demonstratives Schweigen über sie. Heinrich von Kleist kann als Richter von ersterem und Anwalt für letzteres beansprucht werden. Oder er kann auch als ein anderer herangezogen werden. In seiner Erzählung "Über das Marionettentheater" kann man ihm nicht nur als Kritiker oder Ironiker souveräner Praktiken der Grazie begegnen, sondern auch als Dichter, der etwas Anderes vorsieht, und zwar das Graziöse im Ereignis. Das Ereignis scheint sich dort aufzutun, wo Gegensätzliches zur Koexistenz gebracht wird: Schwere und Schwerelosigkeit, Boden und Bodenlosigkeit, Endlichkeit und Unendlichkeit, Choreographie und Kontingenz. In einem vierteiligen "pas de deux“ bewegen sich die Tänzer Raphaëlle Delaunay und Mikael Marklund auf dieses Ereignis der Extreme zu, gerahmt von Kleists Text selbst und Klavierstücken von Charles Ives, Anton Webern, Beat Furrer, Felix Mendelssohn Bartholdy sowie Johann Sebastian Bach, die von Mathias Halvorsen interpretiert werden.
Produktion: Pas de deux GbR. Koproduktion: HAU Hebbel am Ufer, La Commune Aubervilliers,Tanzquartier (Wien). Gefördert durch die Basisförderung Berlin/ Der Regierende Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten und vom Fonds Darstellende Künste e.V./3-jährige Konzeptionsförderung aus Mitteln des Bundes. Mit freundlicher Unterstützung von Dock11/Eden*****Berlin