Nach einer umfangreichen Tour kehren die Nazisupermenschen von Showcase Beat Le Mot ans HAU zurück. Sie engagieren einen Chor, damit sie auf dessen Stimmen weiterreisen können. Mit Engeln und Trompeten. Der Chor soll Wagner singen, kann aber nur Verdi. “Egal” denken die Supernazis. Denn ihre Parole ist: Platz schaffen, denn ihr Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Raum ist stärker als jeder Hass. Sie sehen nichts Dauerndes, aber eben darum sehen sie überall Wege. Und weil sie überall Wege sehen, müssen sie alles aus dem Weg räumen.
Showcase Beat Le Mot über “Nazisupermenschen sind allen überlegen – The Horror of the Ordinary”
Im Interview mit und über sich selbst in den Rollen von Giacomo di Lorenzo und den Performern von SCBLM
Frage:
Im Gegensatz zu Euren Gießener Kollegen, seid Ihr dafür bekannt, Euch auch mit historischen Themen auseinander zusetzten. Wie kommt das?
SCBLM:
Das hat natürlich mehrere Gründe. Erstens wollen wir in unseren Projekten etwas dazulernen, entweder den virtuosen Umgang mit einem Akkuschrauber, wie beim Bau unseres temporären Theaters Ding Dong Dom in Berlin, oder eben mit der erweiterten Kenntnis einer anderen Epoche.
Frage:
Und warum gerade Geschichte, Vergangenheit?
SCBLM:
Tja, eigentlich ganz einfach, weil wir in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit meistens mehr über unsere Gegenwart erfahren, als wenn wir so hippe Jetzt-Zeit-Stücke machen.
SCBLM:
Wir könnten auch autobiografisches Theater machen, so Miete/Strom/Gas -mässig. Und über unsere Zeitgenossenschaft ab lästern; aber so etwas hat kaum politisches Gewicht, das bleibt häufig im Gejammer hängen.
Wir könnten uns auch ständig auf der Bühne beschweren und ironisch und augenzwinkernd gegen das böse Kapital wettern. Dann wären Alle einverstanden und würden einen Abend über etwas sehen, was sie sowieso denken.
Frage:
Warum also Geschichte. Ihr habt Stücke über China oder die Zeit der japanischen Edo Periode gemacht?
SCBLM:
Ähh, ganz einfach. Aus Nietzsche zum Beispiel wäre ein vergessener Spinner geworden, wenn sich sein wirkliches Interesse nicht der Antike gewidmet hätte und wie deren Errungenschaften und Denkweisen sich bis in unsere Zeit ziehen. Oder FickiFackiFoucault. Seine Auseinandersetzung mit dem Mittelalter erzählt mehr über unsere Gegenwart, als es ein Zeitstück je tun könnte.
Frage:
Und warum stürzt Ihr Euch jetzt auf die Periode des Nationalsozialismus?
SCBLM:
Na wegen des Sozialismus, (Lacht).
SCBLM:
Nee, mal ehrlich. In unserer Schulzeit in den 1980ern, kam es zu einem Generationenwechsel der Lehrer. Die 68er übernahmen den Unterricht und beendeten das große Schweigen über das III Reich. Plötzlich wurde alles aufgearbeitet.
SCBLM:
Mir kommt es so vor, als ob wir wöchentlich Filme über diese Zeit gesehen haben. All unsere Schulausflüge gingen nach Dachau oder Auschwitz.
Frage:
Und das findet Ihr schlimm?
SCBLM:
Nein, gar nicht. Aber die Auseinandersetzung war eine rein faktische. Wir wurden mit Statistiken und Zahlen bombardiert. Aus Angst eine unangemessene Vergangenheitsbewältigung zu vollziehen ging man fast mathematisch mit dem NS Regime um.
SCBLM:
Und davon wollten wir uns befreien und dem Diskurs eine Erzählung und ein Drama an die Seite stellen. Damals war das verboten, aus Angst auch nur den kleinsten Fehler oder die geringste Verfälschung zu machen. Aber alle wichtigen und schrecklichen Ereignisse der Geschichte bedürfen auch einer künstlerischen Nacherzählung. Die isländische Edda, der trojanische Krieg...
Frage:
.....die Illias, die Bibel..... Ihr denkt also, dass Ihr auf diesem Level angekommen seid. Das Hildebrandslied, Don Quichotte und Showcase Beat le Mot?
SCBLM:
...Ja...
SCBLM:
Mhhm, nein das wäre anmaßend, natürlich wollen wir das Hildebrandslied, schaffen aber nur Harry Potter, wir versuchen die Illias, heraus kommt Star Wars.
Frage:
Immer noch Größenwahnsinnig.
SCBLM:
Scherz beiseite, wir haben die Antwort doch schon gegeben. Uns geht es darum, dem offiziellen Geschichtskanon, dessen Koordinaten sich im Übrigen auch ständig verändern, etwas hinzuzufügen. Schlimmstenfalls ziehen wir das Thema vom Sockel des Unantastbaren hinab ins Triviale. Aber nicht um zu verharmlosen oder zu relativieren, sondern um die Auseinandersetzung und Erinnerung lebendig zu halten.
Bern, den 8.5.2015