Das Theater ist der Ort der Vergegenwärtigung, der Präsenz und Liveness. Jedes Bühnengeschehen ist durchdrungen von Lebendigkeit. Das Publikum kann sich Sekunde für Sekunde vergewissern: Diese Körper da auf der Bühne sind für mich da, diese Stimme spricht zu mir – jetzt, in diesem Moment. Aber: Was passiert mit dem Theater, wenn für eine Aufführung die Selbstverständlichkeit der menschlichen Präsenz verschwindet? Was bleibt dann übrig? Das internationale Passagierflugzeug MH370 der Malaysia Airlines verschwand am 8. März 2014 mit 227 Passagieren und 12 Crewmitgliedern plötzlich vom Radar. Sein Verschwinden wurde als eines der größten Luftfahrträtsel aller Zeiten bezeichnet – denn es scheint unglaublich, dass etwas so Großes in einer Welt verloren gehen kann, in der vermutlich alles und jeder unter Überwachung steht. Kurz nach dem Verschwinden des Flugzeugs schreibt der Vater der Autorin und Regisseurin seinem Enkel vier Glückwunschbriefe zum Geburtstag. Der Inhalt fast identisch; jeder Umschlag mit Sondermarke frankiert. Ein Jahr später kommt gar keine Karte, der Geburtstag war wohl vergessen worden und irgendwann bekommt diese Vergesslichkeit einen Namen und wird zur Krankheit: Demenz. In “All right. Good night.” zeichnet Helgard Haug das Verschwinden, die Suche und das Ringen mit der Ungewissheit nach − am Beispiel des verschwundenen Flugzeugs und der sich manifestierenden Demenz des eigenen Vaters. Es ist das Protokoll eines unumkehrbaren Prozesses.
Als künstlerisches Medium hat Musik eine große Tradition darin, Verschwundenes greifbar zu machen. Sei es durch ein Requiem zum Gedenken an Verstorbene oder durch einen Chor, der schon im antiken Theater bezeugend als Chronist auftrat und von kaum vorstellbaren Schlachten und göttlichen Fügungen berichtete. Für “All right. Good night.” komponiert die Elektropopmusikerin Barbara Morgenstern in Zusammenarbeit mit dem Arrangeur Davor Vincze zum ersten Mal für ein klassisches Orchester.
Was bleibt übrig? Nur Gedanken und Erinnerung? Der nackte Theaterapparat? Die Musik?
“All right. Good night.” wurde 2022 zum Theatertreffen eingeladen und von Theater Heute zur “Inszenierung des Jahres” gewählt.
Barbara Morgenstern ist elektronische Musikerin, Komponistin, Produzentin und Chorleiterin.Seit 1998 veröffentlicht sie ihre Musik, zunächst beim Berliner Label Monika Enterprise, seit 2018 bei Staatsakt. Seit 2007 leitet sie am Haus der Kulturen der Welt Berlin den “Chor der Kulturen der Welt”, für den sie komponiert, arrangiert und das Programm gestaltet. Seit 2012 arbeitet sie kontinuierlich mit Rimini Protokoll.
Zafraan steht für Musik, die das heutige Leben, die heutige Gesellschaft, die heutige Realität in all ihren Facetten reflektiert. Im Zusammenspiel mit anderen Kunstformen beobachtet, erforscht und verarbeitet Zafraan das, was uns umgibt: die Menschen, das Geschehen, die Natur, die Technologien, die Normalitäten und die Absurditäten von heute. Die aus zehn festen Mitgliedern aus Spanien, Frankreich, Neuseeland, Australien und Deutschland bestehende Gruppe formierte sich 2009 in Berlin und spielt hauptsächlich aktuelles Repertoire, das von der Kernbesetzung mit Violine, Viola, Cello, Bass, Flöte, Klarinette, Saxophon, Harfe, Klavier und Perkussion abgedeckt wird.